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Die Corona-Pandemie ist auch eine psychologische Krise

Covid-19-Erkrankungen, LongCovid und die Belastungsfaktoren der Pandemie können psychische und neuropsychologische Folgen haben, die Menschen aller Altersklassen betreffen. Es zeigt sich eine Zunahme an psychischer Belastung und eine deutlich erhöhte Nachfrage nach psychotherapeutischer Behandlung bei bereits vielerorts langen Wartezeiten auf Psychotherapie-Plätze.

Die individuellen psychischen, sozialen und ökonomischen Ressourcen spielen eine große Rolle bei der Bewältigung dieser langandauernden Belastungssituation. Besonders gefährdet sind Menschen mit bereits vorbestehenden psychischen und somatischen Erkrankungen sowie Familien, die über wenig Ressourcen verfügen. Starke psychische Belastungen wie Angst- und Traumastörungen können sich auch bei Menschen finden, die wegen Covid-19 intensivmedizinisch behandelt wurden.

Dem Thema „Corona und psychische Gesundheit: Auswirkungen und Versorgung“ widmete sich deshalb eine Online-Fachveranstaltung mit rund 200 Teilnehmern, die die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz und die Psychotherapeutenkammer Bremen gemeinsam am 9. April 2021 durchführten.

Die Vorträge der verschiedenen Expert*innen für psychische Gesundheit verdeutlichen, dass häufig sehr komplexe Belastungs- und Behandlungssituationen vorgefunden werden. Psychosoziale Angebote wie Intensivierung der Schulsozialarbeit und Jugendhilfe können sowohl präventiv als auch gemeinsam mit einer psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt werden. Gruppenpsychotherapeutische Angebote, Beratungsstellen sowie Selbsthilfegruppen sollten besonders gefördert werden, um den großen Bedarf an Behandlung sowie Unterstützungsangeboten leichter begegnen zu können. Insgesamt ergibt sich auch ein großer Bedarf an interdisziplinärer Zusammenarbeit, insbesondere auch im Hinblick auf LongCovid. Die psychologische Komponente bei der Bewältigung der Folgen der Pandemie muss sowohl in der Forschung als auch in den gerade entstehenden Covid-Ambulanzen ausreichend berücksichtigt werden. Die Anerkennung als Berufskrankheit erfordert spezifische psychotherapeutische Angebote auch der Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungen.
Die Politik ist hier gefordert, zusammen mit Expert*innen für psychische Gesundheit entsprechende Bedarfe zu identifizieren und Versorgungs- und Unterstützungsangebote zu intensivieren bzw. zu schaffen.

Prof. Dr. Michael Witthöft, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Mainz, stellte in seinem Vortrag bei der Veranstaltung eine eigene Studie zu den Auswirkungen des ersten Lockdowns auf die psychische Gesundheit vor. Jüngere Personen sowie Personen mit einer psychischen Störung waren besonders negativ von sozialer Distanzierung und Quarantäne betroffen. Depressive, ängstliche und psychosomatische Beschwerden kamen in der untersuchten Gruppe mehr als doppelt so häufig vor wie ohne Pandemie zu erwarten wäre.

Sabine Maur, Psychologische Psychotherapeutin und Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, schilderte die vielfältigen Belastungen für Kinder, Jugendliche und Familien in der Pandemie. Der Verlust sozialer Kontakte und von wichtigen Freizeitbeschäftigungen, die Angst vor Ansteckung von Angehörigen und schweren Erkrankungsverläufen, die Sorgen um die Zukunft und die schulische Entwicklung belasten viele Jugendliche. Hinzu kommen besorgniserregende Entwicklungen im Hinblick auf die Auswirkungen von LongCovid bei Kindern und Jugendlichen. „Wir brauchen dringend eine bessere psychosoziale Unterstützung von besonders belasteten Familien. Außerdem sehen wir eine Zunahme von Therapieanfragen für Kinder und Jugendliche von 60%. Hier müssen die Krankenkassen ihrer Pflicht zur Finanzierung von Psychotherapie per Kostenerstattung nachkommen.“

Sabine Unverhau, Psychologische Psychotherapeutin und Neuropsychologin, stellte die neuropsychotherapeutische Behandlung vor von Menschen mit neuropsychologischen Symptomen und Belastungen in Folge einer Covid-19-Erkrankung. Dazu gehören u.a. Symptome wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprobleme sowie Schwierigkeiten, Alltagshandlungen zu planen und durchzuführen. Schon vor Corona habe es zu wenig Anlaufstellen für neuropsychologische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen gegeben.

Amelie Thobaben, Psychologische Psychotherapeutin und Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Bremen, beschrieb die Posttraumatische Belastungsstörung nach schwerer Covid-19-Erkrankung. „Lebensbedrohliche Situationen zu erleben und dabei hilflos zu sein, stellt eine besondere psychische Belastung dar. Wenn die Psyche damit überfordert ist, dann entwickeln sich oft extrem belastende psychische Symptome. Das betrifft nicht nur Erfahrungen eigener Lebensbedrohung, sondern auch die des Bettnachbarn in der Klinik oder der Patientin, die man behandelt.“ Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen sollten auch in somatischen Kliniken, vor allem auf Intensivstationen zum Behandlungsteam gehören. „Erfolgreiche Behandlung oder Beratung im Sinne einer Frühintervention stellen einen präventiven Faktor bei Entwicklung psychischer Störungen dar“, sagte Amelie Thobaben.

Florina Willand, Psychologische Psychotherapeutin, teilte eindrucksvolle Erfahrungen aus ihrer psychotherapeutischen Arbeit mit Covid-19-Patient*innen in einer pneumologischen Rehaklinik. Die gruppenpsychotherapeutischen Angebote für Menschen mit ähnlichen Erfahrungen stelle eine gute Möglichkeit dar, um mit begrenzten Ressourcen mehr Menschen behandeln zu können. Selbsthilfegruppen müssten gestärkt werden, Ärzt*innen sollten geschult werden hinsichtlich möglicher psychischer Folgestörungen von schweren Covid-19-Verläufen. Auch eine Sensibilisierung der Arbeitgeber sei wichtig.

Die Präsentationen der Referent*innen finden Sie hier zum Download:

 Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier: Padlet

Referent*innen der Online-Veranstaltung

Grußwort der rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler

15.04.2021
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