Jetzt in psychische Gesundheit junger Menschen investieren!
Wer den weiteren Anstieg psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung verhindern will, muss jetzt in die psychotherapeutische Versorgung junger Menschen investieren. Denn 50% aller psychischen Störungen treten vor dem 15. Lebensjahr auf, 75% vor dem 25. Lebensjahr. Werden diese nicht rechtzeitig behandelt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass aus psychisch kranken Kindern psychisch kranke Erwachsene werden. Dies wurde sehr deutlich bei der Veranstaltung „LPK trifft Gesundheitspolitik“ am 25. November 2024, die dieses Jahr unter dem Motto „Kinder in der Krise – Versorgung am Limit?“ stand.
Vor allem Kinder und Jugendliche leiden unter den zahlreichen Krisen unserer Zeit; viele von ihnen sind psychisch stark belastet. Wie Studien zeigen, haben einige psychische Erkrankungen zugenommen. Hilfe zu bekommen, ist nicht einfach: Ambulante Therapieplätze sind rar, stationäre Versorgung und Jugendhilfe überlastet. Was ist also zu tun, um die psychische Gesundheit der jungen Menschen zu schützen – am besten bevor sie erkranken?
Um diese drängende Frage zu erörtern, hatten sich rund 100 Gäste im Restaurant ESSZIMMER des Rheinland-Pfälzischen Landtags in Mainz eingefunden, darunter Nicole Steingaß, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit Rheinland-Pfalz und Referent*innen des Ministeriums sowie zahlreiche Landtagsabgeordnete verschiedener Fraktionen, der Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung des Bundesministeriums für Gesundheit Michael Weller, Vertreter*innen verschiedener Universitäten, Vorstandsmitglieder der Bundespsychotherapeutenkammer, Präsident*innen und Geschäftsführer*innen anderer rheinland-pfälzischer Kammern und von Landespsychotherapeutenkammern anderer Bundesländer, Geschäftsführer*innen von Krankenversicherungen, Verbänden und weitere Akteur*innen des Gesundheitswesens sowie Mitglieder der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz.
Sowohl LPK-Präsidentin Sabine Maur, die die Veranstaltung moderierte und ein Grußwort sprach, als auch der als Experte eingeladene Michael Weller aus dem Bundesgesundheitsministerium, machten deutlich, was das vorzeitige Auseinanderbrechen der Regierungskoalition für die psychotherapeutische Versorgung bedeutet: Wichtige, lang geplante Reformen, die kurz vor der Umsetzung standen - wie beispielsweise die eigene Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche – werden nun doch nicht umgesetzt und auf ungewisse Zukunft verschoben, was Herr Weller „als sehr frustrierend“ bezeichnete. Dringend benötigte zusätzliche Kassensitze, die die Reform mit sich gebracht hätte, rücken damit erneut in weite Ferne. Auch die erhofften Ermächtigungen für die Versorgung schwer psychisch erkrankter Patient*innen und die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung könnten dem Regierungsende zum Opfer fallen. Doch auch wenn momentan Stillstand zu herrschen scheine, würde doch daran gearbeitet, noch so viel wie möglich von den geplanten Vorhaben zu retten, versicherte Herr Weller.
Wie wichtig diese Reformen sind, verdeutlichte auch der Fachvortrag von Prof Dr. Silvia Schneider, Leiterin des Zentrums für Kinder- und Jugendpsychotherapie der Ruhr-Universität Bochum. Werden psychische Probleme in jungen Lebensjahren nicht rechtzeitig versorgt, geht häufig eine Störung in die andere über und es kann zu „negativen Entwicklungskaskaden“ kommen. Diese bringen nicht nur viel subjektives Leid, sondern letztlich auch großen ökonomische Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland mit sich, führte Frau Prof. Dr. Schneider aus. Risikofaktoren für psychische Erkrankungen sind unter anderem Armut und psychisch erkrankte Eltern, erklärte die Referentin. Sie stellte Studien vor, die zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit, psychisch zu erkranken deutlich gesenkt werden kann, wenn man präventiv tätig wird. „Wir können also etwas tun!“ ermutigte sie die Zuhörer*innen und stellte klar: „Wir wissen auch, was zu tun ist.“ Wichtig sei ein Gesundheitsmonitoring zur psychischen Gesundheit, also die systematische und längsschnittliche Erfassung der mentalen Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, außerdem die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung durch mehr Kassensitze, schnelle und nachhaltige Investitionen in die psychische Gesundheit von jungen Menschen und eine bessere Vernetzung mit den bestehenden Hilfesystemen. Wichtig sei es, Gesundheit und Bildung strukturell zu verknüpfen, um jedem Kind eine Chance auf eine gesunde Entwicklung zu geben.
Diese Forderungen wurden von den anderen Expert*innen, die an diesem Abend zu Wort kamen, bekräftigt. Auch Bundespsychotherapeutenkammerpräsidentin Dr. Andra Benecke und ihre Vorstandskollegin Cornelia Metge forderten, die psychotherapeutische Versorgung durch mehr Kassensitze auszubauen und zudem verstärkt in die Lebenswelt der Kinder zu integrieren, also den Ausbau aufsuchender Versorgungsangebote in Kindergarten und Schule. Zudem sei die regelhafte Implementierung von Gruppenangeboten für belastete Kinder von großer Bedeutung. Zur Präventionsarbeit gehöre nicht zuletzt, Kinderarmut zu bekämpfen. Da diese so genannte „Verhältnisprävention“ ein Querschnittsthema sei, sei bessere Vernetzung zwischen den relevanten Akteuren besonders wichtig.
Die Landesregierung in Rheinland-Pfalz hat erkannt, wie wichtig Prävention für die Erhaltung der psychischen Gesundheit ist. Staatssekretärin Nicole Steingaß gab einen Überblick über verschiedene präventive Strukturen und Projekte zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Rheinland-Pfalz. So stellte sie beispielsweise die Landespräventionskonferenz und die Schulprojekte „Beware“ und „Verrückt – na und?“ vor. Frau Steingaß dankte der Landespsychotherapeutenkammer dafür, die psychische Gesundheit von jungen Menschen ins Zentrum des Abends gestellt zu haben und sie versicherte, dass sie gerne die Expertise der Psychotherapeut*innen stärker in die Präventionsstrukturen einbinden wolle und immer offen für neue Ideen zur Förderung der psychischen Gesundheit sei. Zwar gebe der Bund den Rahmen der Gesundheitspolitik vor, das Land Rheinland-Pfalz habe jedoch ebenfalls eine starke Stimme, die auch unter einer neuen Bundesregierung dafür eingesetzt werden solle, die psychische Gesundheitsversorgung zu stärken.
Der letzte Teil des Programms widmete sich einem anderen sehr wichtigen Thema: Frau Dr. Benecke verlieh den Verdienstpreis der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz in Anerkennung ihres unschätzbar wichtigen Einsatzes für unsere Gesellschaft kollektiv an die Psychotherapeut*innen im Ahrtal, die die Betroffenen der Flutkatastrophe versorgen.
„Die Flutkatastrophe ist zu Recht als schwerstes Unglück bezeichnet worden, das Rheinland-Pfalz seit dem 2. Weltkrieg erleben musste. Für die Betroffenen, aber auch für den Rest des Landes ist es von enormem Wert, dass es Menschen wie diese Psychotherapeut*innen gibt, die dem Katastrophengebiet nicht den Rücken kehren, sondern dort bleiben und den Menschen dabei helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Durch ihre Arbeit tragen Sie dazu bei, Wunden zu heilen und Hoffnung zu geben, die das Ahrtal dringend brauchen kann“, so Frau Dr. Benecke in ihrer Laudatio.
Alle im Ahrtal tätigen Kammermitglieder waren zur Preisverleihung eingeladen worden. Als sie nacheinander ihre Urkunde erhielten, wurden sie mit ausgiebigem Applaus gewürdigt. Den Pokal nahm stellvertretend für all seine Kolleg*innen Christian Falkenstein entgegen, der immer wieder als Ansprechpartner und Koordinator fungiert hat – sowohl gegenüber der Kammer als auch gegenüber den Medien. Er bedankte sich mit einer kleinen Ansprache, bevor der Abend mit Wein, Fingerfood und angeregten Gesprächen ausklang.
Mehr zur Verleihung des Verdienstpreises der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz 2024 hier.
Einen Radiobeitrag von RPR 1 zur Veranstaltung mit O-Tönen von Sabine Maur finden Sie hier.