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Was kann Psychotherapie bei FASD leisten?

Obwohl Fetale Alkoholspektrum-Störungen (Fetal Alcohol Spectrum Disorders, FASD) zu den häufigsten angeborenen Behinderungen gehören, bleiben sie immer noch oft unerkannt und daher unbehandelt. Umso wichtiger ist es, dass Psychotherapeut*innen die Krankheit gut diagnostizieren und in der Therapie angemessen mit ihr umgehen können. Vor diesem Hintergrund veranstalteten die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz und Ihre Schwesterkammer aus dem Saarland (PKS) gemeinsam das Web-Seminar „Fetale Alkoholspektrum-Störungen in der Psychotherapie“ am 10. Dezember 2024. Die LPK-Präsidentin Sabine Maur und die Präsidentin der PKS, Stefanie Maurer, konnten rund 60 Teilnehmer*innen begrüßen.

Als Referentin war die Diplom-Psychologin Ulrike Mai eingeladen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe und Eingliederungshilfe tätig ist. Sie ist Expertin für FASD und arbeitet im Team von „BINE – Beratungs- und Informationsnetzwerk FASD“. Diese vorrangig mobile (also aufsuchende) Fachberatungsstelle für Menschen mit Fetaler Alkoholspektrum-Störung und deren Begleitpersonen ist seit Februar 2023 in Rheinland-Pfalz und dem Saarland aktiv. In ihrem Vortrag stellte Frau Mai ausführlich das Krankheitsbild FASD vor, erläuterte die Bedeutung einer guten Diagnostik sowie die Notwendigkeit einer FASD-sensiblen Psychotherapie mit den Betroffenen und ihren Angehörigen.

Unter „ FASD“ wird ein ganzes Spektrum von Symptomen zusammengefasst, die auf den mütterlichen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft zurückzuführen sind. Da Alkohol ungehindert die Plazentaschranke passiert und der Fötus 10-mal so lange für die Entgiftung braucht, wie der mütterliche Organismus, reichen auch kleine Mengen Alkohol um die gesunde Entwicklung des ungeborenen Kindes zu beeinträchtigen. Der Einfluss des Alkohols sorgt für verlangsamtes und fehlerhaftes Zellwachstum, was zu Fehlbildungen, kognitiver Behinderung, hirnorganischen Beeinträchtigungen, Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten des Kindes führen kann. FASD hat über die ganze Lebensspanne vielfältige Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche wie Schule, Berufe, Familie und Sozialkontakte.

Wie Frau Mai in ihrem Vortrag berichtete, leben gemäß vorsichtiger Schätzungen rund 1-2% der Bevölkerung mit FASD, derzeit ca. 0,8-1,6 Millionen Menschen. Rund 80% von ihnen wachsen nicht in ihren Ursprungsfamilien auf. ¾ von ihnen können aufgrund ihrer Beeinträchtigung kein selbstständiges Leben ohne Unterstützung führen. Viele der Betroffenen kennen den Grund für ihre Probleme nicht, da FASD in 90% der Fälle nicht diagnostiziert wird. Die Anlaufstellen für die Diagnostik, besonders für Erwachsene, sind rar und die Wartezeiten oft sehr lang. Die Referentin erläuterte typische Verhaltens- und Wesensmerkmale sowie körperliche Anzeichen, die auf FASD hinweisen und verwies im Übrigen auf die S3 Leitlinie zur Diagnostik und Intervention bei FASD, die hier kostenlos zum Download bereit steht.

FASD ist nicht heilbar, dennoch kann Psychotherapie den Betroffenen wertvolle Dienste leisten - zumal viele von ihnen über die Lebensspanne weitere psychische Störungen entwickeln, die meist im Zusammenhang mit FASD stehen: Depressionen, Angststörungen, bipolare und psychotische Störungen sind unter Betroffenen weit verbreitet. Mehr als 50% entwickeln im Erwachsenenalter Abhängigkeitserkrankungen und ca. ein Drittel versucht, sich im Laufe des Lebens zu suizidieren.

Wie Frau Mai erläuterte, profitieren Betroffene von einer möglichst früh im Leben einsetzenden psychotherapeutische Behandlung, die möglichst konstant fortgeführt werden sollte. Aufgrund der Hirnschädigungen dauern die therapeutischen Verläufe bei FASD-Betroffenen lange. Das verbale Lernen fällt dieser Patient*innengruppe schwer, außerdem finde kaum Erfahrungslernen und Transfer statt. Es sei daher besonders wichtig, die Therapie entsprechend anzupassen, also beispielsweise wenig sprachbasiert, stattdessen aber viel mit Visualisierung und Erfahrbarem zu arbeiten, oft zu wiederholen und ausreichende Pausen einzuplanen. Zentral sei außerdem, sich eng mit den Bezugspersonen der Patient*innen zu vernetzen, damit das Gelernte im privaten Umfeld eingeübt werden kann. Die Referent*in betonte, dass der Schwerpunkt bei der Therapie mit FASD-Patient*innen nicht auf Selbstreflexion liegt, sondern vor allem auf Beratung und Psychoedukation. Die Erwartungen an den Therapieerfolg sollten nicht zu hoch sein und auch den Angehörigen sollten realistische Ziele vermittelt werden. Mit viel Verständnis und Geduld sei aber eine gute Begleitung der Betroffenen möglich.

Besonders für Aspekte, die die Psychotherapie nicht abdecken kann, kann die Fachberatungsstelle BINE um Unterstützung angefragt werden. Das Netzwerk bietet FASD-Betroffenen und ihren Angehörigen vielfältige aufsuchende Hilfe und informiert auch Mitarbeiter von Betreuungseinrichtungen, Schulen und anderen Institutionen über die Krankheit. Auch für Fachkräfte hält die Homepage von BINE viele Informationen bereit.
Psychotherapeut*innen, die gerne mit FASD-Betroffenen arbeiten möchten, können sich bei BINE melden, um in das Netzwerk aufgenommen zu werden.

Die Veranstaltung machte deutlich, dass der Aufklärungsbedarf rund um FASD trotz der weiten Verbreitung noch groß ist. Kammerpräsidentin Sabine Maur betonte daher, dass das Wissen um Diagnostik und Therapie von FASD dringend besser in die Psychotherapie-Ausbildung integriert werden müsse.

[Stefanie Maurer, Sabine Maur und Ulrike Mai]

[Screenshots vom 10.12.2024]

11.12.2024
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