Versorgungsdefizite in der Psychotherapie sind real
Anlässlich der 12 neuen Sitze für Psychotherapie, die in Rheinland-Pfalz geschaffen wurden, führte der Trierische Volksfreund ein Interview mit Peter Andreas Staub, Mitglied des Vorstandes der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (LPK RLP) und der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP). Er erläutert im Artikel die Gründe für die langen Wartezeiten auf Psychotherapie, die sowohl in der fehlerhaften und veralteten Bedarfsplanung als auch im gestiegen Bedarf und der gesellschaftlichen Enttabuisierung psychischer Erkrankungen liegen. Herr Staub sagte der Zeitung, dass in Rheinland-Pfalz 200 Psychotherapeut*innen fehlen, um eine bedarfsgerechte Behandlung sicherstellen zu können.
Auch der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch fordert eine Reform, um die psychotherapeutische Versorgung zu verbessern, da auch die zusätzlichen 12 Sitze die Wartezeiten nicht deutlich verkürzen werden.
Interessanterweise will der rheinland-pfälzische Verband der Ersatzkassen (vdek) die Realität der Versorgungsdefizite nicht zur Kenntnis nehmen, wie dem Artikel im Trierischen Volksfreund zu entnehmen ist: Im Land gebe es eine stabile Versorgungslage. Zudem kritisiert der vdek das Management von KV und Psychoherapeut*innen. Sie müssten viel stärker Fernbehandlung und Gruppentherapie nutzen, um mehr Patienten versorgen zu können. Es gebe außerdem kein „geregeltes Verfahren“ für den Zugang, was dazu führe, dass oft leicht erkrankte Patient*innen schneller einen Platz als schwere Fälle erhielten.
Der Vorstand der LPK RLP verwahrt sich entschieden gegen diese Behauptungen, für die es keinerlei Belege gibt. Gut belegt ist im Gegensatz dazu, dass auch in Rheinland-Pfalz der Bedarf an Psychotherapie die Nachfrage deutlich übersteigt: So wartet man hierzulande im Schnitt 19 Wochen auf einen Psychotherapieplatz und die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung teilt mit, dass im 1. Halbjahr 2023 von 7.419 Nachfragen nach Psychotherapie 3.647 nicht vermittelt werden konnten.
Bezüglich der Gruppentherapie zeigen Erhebungen einen starken Zuwachs - ganz besonders in Rheinland-Pfalz: Der aktuelle Trendreport des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung belegt, dass sich die Behandlungsfälle im zweiten Quartal 2023 in der Gruppentherapie um 50,9 Prozent von 1.528 im 2. Quartal des Vorjahres auf 2.305 erhöht haben.
Die Therapie per Fernbehandlung ist nicht als Lösung der Versorgungsdefizite geeignet, da Fernbehandlung genauso zeitintensiv ist wie die Behandlung in der Praxis.
Die Aussage, dass leicht erkrankte Patient*innen schneller einen Platz erhielten als schwerer erkrankte, verfolgt wohl die Absicht, Patienten gegeneinander auszuspielen und einen diskriminierenden Selektionsmechanismus zu installieren. Die Versorgungsrealität, der sich der vdek völlig entzieht, steht diesem stets verbreiteten Mythos jedoch diametral entgegen.
Den Artikel „Warum Patienten oft lange auf ihre Psychotherapie warten müssen“ von Sebastian Stein erschien am 2. April 2024 auf der Titelseite des Trierischen Volksfreunds. Die Online-Fassung mit der Überschrift „Zu wenig Plätze für Psychotherapie in Rheinland-Pfalz“ finden Sie hier.