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Stellungnahme der LPK RLP zur Strategie gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Die zahlreichen Berichte über sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen, die in den letzten Jahren und insbesondere in den letzten Wochen veröffentlicht wurden, zeigen das Leid der Betroffenen, die Häufigkeit und das Ausmaß solcher Taten. Psychotherapeut*innen sind in ihrer täglichen Arbeit mit den Betroffenen seit Jahrzehnten mit den kurz- und langfristigen psychischen und physischen Auswirkungen sexueller Gewalt in der Kindheit befasst, haben immer wieder auf diese Auswirkungen und die Notwendigkeit von weiteren intensiven Maßnahmen zur Prävention und zum besseren Umgang mit sexueller Gewalt hingewiesen.

Durch die Berichte in den letzten Wochen wie beispielsweise aus Lüdge, Münster, Staufen und Berlin sind folgende Erkenntnisse endlich verstärkt in den Blick der Gesellschaft und Politik gerückt:

  • Sexuelle Gewalt findet vor allem in der Familie bzw. im nahen sozialen Umfeld statt durch Personen, die die Kinder/Jugendlichen kennen. Sexuelle Gewalt ist nicht an ein bestimmtes soziales Milieu gebunden, sondern findet in allen gesellschaftlichen Schichten statt. 
  • Sexuelle Gewalt wird auch an Säuglingen und Kleinkindern ausgeübt.
  • Kinder und Jugendliche sind betroffen von ritualisierter und sadistischer Gewalt.
  • Sexuelle Gewalt wird durch bestimmte institutionelle Strukturen und Merkmale begünstigt (z.B. Kirchen, Sportvereine, Internate, Kinderheime).
  • Sexuelle Gewalt wird in der Regel durch Männer begangen, aber in etwa 10-20% der Fälle auch durch Frauen. Nicht alle Mütter schützen ihre Kinder („friendly mother illusion“). Gemeinsames Merkmal ist die Ausübung von Gewalt und Macht. Bei einigen Täter*innen gibt es eine pädosexuelle Fixierung.
  • Die Vernetzung durch das Internet begünstigt die Verbreitung und den „Konsum“ von Abbildungen und Videos sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in extremem Ausmaß. Dies begünstigt außerdem die Vernetzung von Täter*innen und damit die gemeinsame Ausübung sexueller Gewalt durch mehrere Personen.
  • Die Vernetzung durch das Internet begünstigt darüber hinaus verschiedene Formen des Cybermissbrauchs (z.B. Cybergrooming, Sexting, ungewollte Verbreitung pornographischer Videos). Für die psychosexuelle Entwicklung von Jugendlichen bereitet auch die sehr frühe und breite Verfügbarkeit von Pornographie im Internet Sorge.

Kurz- und langfristige Auswirkungen von sexueller Gewalt sind empirisch gut belegt. Es gibt ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung physischer und psychischer Erkrankungen. Die gesellschaftliche, schulische und berufliche Teilhabe kann beeinträchtigt werden. „Die Folgen sind umso schwerer, je intensiver die Tat war, je häufiger sie geschehen ist, je länger der Tatzeitraum war, je vertrauter der*die Täter*in dem Kind ist, je länger es mit der Erfahrung allein bleibt ohne Hilfe zu finden, je mehr an seiner Glaubwürdigkeit gezweifelt wird und je weniger Trost und Zuwendung es erhält. Umgekehrt bedeutet das, dass frühe Hilfe und zugewandte, einfühlsame Reaktionen der Familie und des sozialen Umfelds erhebliche Auswirkungen darauf haben, wie gut ein betroffenes Kind diese Erfahrung verarbeiten kann." (Unabhängiger Beauftragter zu Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Mai 2020).
Die Anstrengungen und das Engagement der letzten Jahre sind offenkundig nicht ausreichend, um Kinder und Jugendliche ausreichend vor sexueller Gewalt zu schützen bzw. sie angemessen zu unterstützen. Auf Basis der genannten Erkenntnisse hat die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz folgende Forderungen zum Umgang mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche:

1. Erhöhung von Stundenkontingenten für psychotherapeutische Behandlung und Reduktion von Wartezeiten
Traumaspezifische Psychotherapie durch approbierte Psychotherapeut*innen ist Mittel der ersten Wahl, um denjenigen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu helfen, die in Folge der erlittenen sexuellen Gewalt psychisch erkranken. Für die psychotherapeutische Behandlung von schwer und komplex traumatisierten Menschen sind allerdings die aktuellen Stundenkontingente häufig nicht ausreichend. Problematisch sind leider auch immer noch die teilweise monatelangen Wartezeiten auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz.

2. Beschleunigung der Bearbeitung von Anträgen
Bei der Finanzierung von ambulanten Psychotherapien aus dem „Fond für sexuellen Missbrauch“ (FSM) der Bundesregierung gibt es nicht akzeptable erhebliche Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen und bei der Begleichung von Rechnungen.

3. Bessere Finanzierung und personelle Ausstattung für Fachberatungsstellen und Jugendämter
In allen Bereichen, in denen Kinder und Jugendliche betreut oder beschult werden, braucht es sensibilisierte und regelmäßig geschulte Fachkräfte. Um flächendeckend präventiv zu arbeiten, einen möglichen Missbrauch frühzeitig zu erkennen und entsprechende Schutzmaßnahmen einzuleiten, haben gerade spezialisierte Fachberatungsstellen für Kinderschutz auch einen zentralen Multiplikator*innenenauftrag. Sie und die Jugendämter müssen besser finanziert und besser personell ausgestattet werden, auch mit psychologischer und psychotherapeutischer Kompetenz.

4. Institutionelle Schutzkonzepte und Angebote zur sexuellen Bildung
Prävention, Aufklärung und Aufarbeitung von sexueller Gewalt in Institutionen braucht verbindliche Standards, Verhaltenskodizes und Konsequenzen. Dies gilt auch für Institutionen des Gesundheitswesens.
Institutionelle Schutzkonzepte, in denen digitale Medien mitgedacht werden, umfassende Beteiligung sowie Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sind zwingend erforderlich. Angebote zur sexuellen Bildung/Sexualpädagogik, die auch die digitalen Lebenswelten von jungen Menschen einschließen, sind zentral für eine gelingende Prävention.

5. Bessere Qualifikation von Verfahrensbeiständen, Familien- und Strafrichter*innen und Gutachter*innen
Verfahrensbeistände und Familien- und Strafrichter*innen brauchen u.a. entwicklungspsychologische und psychotraumatologische Kenntnisse. Gutachter*innen müssen Qualifikationsmindestanforderungen erfüllen.

6. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Fortbildung von Kinderschutz-Akteur*innen
Wichtig ist außerdem die Implementierung von verbindlichen, interdisziplinären Kooperationsstrukturen zwischen den an Prävention und Intervention beteiligten Akteur*innen wie z.B. Betroffenen-Vertreter*innen, Kindergärten/Schulen, Jugendhilfe, Justizwesen, Polizei und Gesundheitswesen. Fortbildungen zu sexueller, physischer, psychischer Gewalt und Vernachlässigung an Kindern und Jugendlichen müssen Pflicht werden.


Sie finden diese Stellungnahme HIER zum Download.
 

24.06.2020
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