Zum Seiteninhalt

Soziales Geschlecht, Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen in der Psychotherapie

Inwieweit sind soziales Geschlecht, Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen in der Psychotherapie ein Thema? Beim "Fachtag Gender & Psychotherapie" der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) diskutierten Expert*innen und Psychotherapeutenschaft über eine geschlechtergerechte psychotherapeutische Versorgung. Dr. Andrea Benecke, Vizepräsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (LPK RLP) und der BPtK, referierte zum Thema “Geschlechtsspezifische Aspekte in der psychotherapeutischen Versorgung“. Ulrich Bestle, ebenfalls Mitglied des Vorstandes der LPK RLP, sprach ein Grußwort.

Dr. Dietrich Munz, BPtK-Präsident, unterstrich, dass die BPtK die fachliche Auseinandersetzung der Profession mit dem Thema Gender und Psychotherapie noch weiter intensivieren wolle. Geschlechtsbezogene Unterschiede in der Versorgung, aber auch in der Gesundheitsförderung und Prävention sowie der Forschung müssten zukünftig besser berücksichtigt werden. Gendergerechtere Entscheidungen könnten im Gesundheitswesen getroffen werden, wenn Frauen in die Entscheidungsfindung auch gleichberechtigt einbezogen würden. Dem schlossen sich Ulrich Bestle und Juliane Sim, Sprecher*innen der BPtK-Gleichstellungskommission, in ihrem Grußwort an. Ebenso müssten Ausgrenzungen sichtbar gemacht und benannt werden. Dies erfordere Engagement und müsse das Entwickeln von Lösungen zur Folge haben.

Geschlechtsspezifische Aspekte der psychotherapeutischen Versorgung

BPtK-Vizepräsidentin Dr. Andrea Benecke stellte die geschlechtsspezifischen Aspekte in der psychotherapeutischen Versorgung heraus. In der Psychotherapeutenschaft seien drei Viertel Psychotherapeutinnen. Mit Blick auf die Patient*innen zeige sich, dass Frauen häufiger und anders als Männer von psychischen Erkrankungen betroffen sind und sich öfter psychotherapeutische Hilfe suchen. Während im Kindesalter noch bei mehr Jungen als Mädchen eine psychische Störung diagnostiziert wird, kehrt sich dies ab dem Jugendalter um. Etwa jede dritte Frau, aber nur knapp jeder fünfte Mann ist von einer psychischen Erkrankung betroffen. Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer an Angststörungen oder Depressionen. Auch Essstörungen sind unter Frauen wesentlich häufiger verbreitet. Männer sind dagegen deutlich häufiger suchtkrank. Zudem entfallen drei Viertel der Suizide auf Männer. Es sei wichtig zu verstehen, was die Ursachen dafür sind und wie ein anderer Umgang mit Sex (biologisches Geschlecht) und Gender (soziales Geschlecht) zu mehr Gleichberechtigung, psychischer Gesundheit und einer besseren Versorgung beitragen kann.

Die unterschiedlichen Erklärungsversuche dieser geschlechterbezogenen Unterschiede schließen sich jedoch nicht aus, sondern können sich auch ergänzen, erklärte Frau Dr. Benecke. Neurobiologisch gesehen, kann ein Ungleichgewicht der chemischen Botenstoffe im Gehirn eine psychische Erkrankung auslösen, zum Beispiel bei postnatalen Depressionen. Psychologische Erklärungsansätze betonen einen unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Umgang mit Stress, wobei Frauen eher dazu neigen, ihre negativen Gefühle zu internalisieren, Männer dagegen eher externalisieren. Aus soziologischer Perspektive entspricht es der gesellschaftlich zugewiesenen Rolle der Frauen eher, dass sie ängstlich und depressiv sind und sich Hilfe suchen. Männer wiederum „kontrollieren“ ihre Emotionen – so der Stereotyp. Sie seien aggressiv, aktiv, abenteuerfreudig, unabhängig, durchsetzungsfähig und ehrgeizig. Sozioökonomisch betrachtet sind Frauen schlechter gestellt als Männer und schon dadurch mehr psychischen Belastungen ausgesetzt, die wiederum krank machen können.

All dies führt dazu, dass Frauen ungefähr doppelt so oft wie Männer psychotherapeutische Leistungen in Anspruch nehmen. In einer Befragung über Einstellungen zur Psychotherapie aus dem Jahr 2012 gaben fast drei Viertel der Frauen an, sich vorstellen zu können, bei Problemen selbst eine Psychotherapie zu absolvieren. Bei den Männern waren es weniger als 60 Prozent.

Die ausführliche Nachberichterstattung der BPtK zum "Fachtag Gender und Psychotherapie" mit den Päsentationen der Referent*innen zum Download finden Sie hier.

[Dr. Andrea Benecke]

[Ulrich Bestle]

12.01.2023
Zum Seitenanfang