Psychotherapeut*innen für Mitarbeit in der Psychosozialen Notfallfallversorgung gesucht
Einen Alarm kann es jederzeit geben, 7 Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag, manchmal mitten in der Nacht. Wenn ein Unglück passiert, das Menschen in Extremsituationen versetzt, werden die Helfer*innen der Psychosozialen Notfallversorgung gebraucht. An der Seite von Polizei und Feuerwehr übernehmen sie beispielsweise die psychosoziale Betreuung von Unfallopfern und –verursachern, von Opfern und Zeug*innen von Gewalttaten, von Angehörigen von Vermissten oder Opfern von Naturkatastrophen, sie überbringen Todesnachrichten an Angehörige und betreuen Menschen, die plötzliche Todesfälle oder erfolglose Reanimation miterlebt haben.
Keine leichte Aufgabe, aber offenbar eine sehr erfüllende, wie Ingeborg Schaumann im Gespräch mit der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz erzählt. Schaumann ist Psychologische Psychotherapeutin, Mitglied der LPK RLP und Fachliche Leiterin der Psychosozialen Notfallversorgung Grünstadt. Momentan sucht sie Psychotherapeut*innen, die Interesse haben, sich aktiv ehrenamtlich in die Arbeit der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) einzubringen und sich entsprechend ausbilden zu lassen. Damit potentiellen Interessent*innen sich ein Bild von der Tätigkeit in der PSNV machen können, berichtet sie von ihren eigenen Erfahrungen:
Ingeborg Schaumann ist bereits seit 2007 in der PSNV tätig und noch denkt die 74-jährige nicht ans Aufhören. Am Ende ihrer beruflichen Laufbahn, nach 22-jähriger Tätigkeit in einer Beratungsstelle für sexuell misshandelte Frauen und Mädchen, überlegte sie, wie sie im Ruhestand ihre fachliche Expertise weiter einbringen könnte. In dieser Situation stieß sie auf einen Zeitungsartikel über die Arbeit des Fördervereins Erweiterter Rettungsdienst e.V. in Grünstadt infolge der Tsunami-Katastrophe. Dieser Verein ist als Träger eines PSNV-Teams in die Katastrophenschutzstrukturen des Landkreises Bad Dürkheim eingebunden. Frau Schaumann beschloss, sich für den Einsatz in der PSNV ausbilden zulassen. Auch wenn man als Psychotherapeut*in schon viel Fachwissen mitbringt, sei diese zusätzlich Ausbildung unbedingt notwendig, betont Schaumann: „Es ist ein völlig anderes Arbeiten in der PSNV“, erklärt sie. Anders als in der Psychotherapie suche man die Menschen häufig zuhause auf, außerdem kann sich eine Beziehung zu den Betroffenen nicht langsam wie in der Therapie entwickeln, sondern man müsse in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit Personen und ihren Zustand einzuschätzen. Möglichst schnell müsse man aus der Umgebung Rückschlüsse auf mögliche Ressourcen ziehen, die sich aktivieren lassen, um den Betroffenen zu helfen. Zudem sei es von großer Wichtigkeit, während der Ausbildung und dem Praktikum Einsatzerfahrung zu sammeln und die Organisationsstrukturen in einem Katastrophenfall zu kennen, denn fast immer arbeitet man in enger Abstimmung mit Polizei und Rettungsdienst zusammen. Eine Einbindung in bestehende Strukturen sei schon bei kleinen alltäglichen Einsätzen wichtig, bei Großschadenslagen sei die Kenntnis der Einsatzabläufe, Organisationsstrukturen und Ausrüstung unerlässlich.
In einem Notfall wird der diensthabende so genannte „Meldekopf“ des PSNV-Teams per Funkmelder von der Leitstelle alarmiert. Der Meldekopf nimmt dann Kontakt mit der Leitstelle auf, um Details über das Unglück und die Zahl der betroffenen Personen zu erfahren. Dann stellt er das Team aus denjenigen freiwilligen PSNV-Helfern zusammen, die sich einsatzbereit gemeldet haben. Das Team - das übrigens einheitliche Einsatzkleidung trägt - besteht immer aus mindestens zwei Personen, idealerweise aus einem Mann und einer Frau. Bei Bedarf kann das Zweierteam verstärkt werden. In einem der drei Einsatzfahrzeuge der PSNV, die mit Sondersignalanlage und Funktechnik ausgestattet sind, geht es dann zum Einsatzort. Dort gilt es, die Betroffenen zu beruhigen und zu stabilisieren, Orientierungshilfe zu geben und Mut zu machen. Die Helfer versuchen das Vertrauen der Betroffenen in die eigenen Kräfte, in ihre Selbstwirksamkeit, zu stärken: „Alles was sie selbst tun können, sollen sie selbst machen“, erklärt Frau Schaumann. Beispielsweise sich etwas zu trinken holen oder wichtige Unterlagen heraussuchen. Am Ende des Einsatzes, der im Schnitt drei Stunden dauert, sollen die Betroffenen wieder „anwesend“ im Hier und Jetzt sein und wissen, was als nächstes zu tun ist. Wichtig sei, dass „das soziale Umfeld angelaufen“ sei, wenn die PSNV-Leute sich zurückziehen, so Frau Schaumann, sich also etwa Angehörige oder Nachbarn um die betroffenen Personen kümmern. Wenn sie gehen, lassen die PSNV-Helfer Flyer mit wichtigen Informationen und weiterführenden Hilfen sowie die Kontaktdaten und Namen der betreuenden PSNV-Einsatzkräfte zurück. Die Möglichkeit der erneuten Kontaktaufnahme wird jedoch nur sehr selten genutzt. Wenn man den Einsatzort verlässt, hat man das gute Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben, berichtet Inge Schaumann. Die Dankbarkeit der Betroffenen sei sehr groß.
Dennoch sind die Einsätze auch für das PSNV-Team psychisch herausfordernd. „In dem Moment, in dem der Alarm losgeht, geht das Adrenalin hoch“, erzählt Ingeborg Schaumann. Bei ihrem ersten Einsatz, einer Vermisstensuche, habe sie vor Aufregung ihre Brille vergessen und nur mit Mühe den Einsatzort gefunden. Doch mittlerweile hat sie jahrzehntelang Erfahrung gesammelt und Routine gewonnen. „Man gewöhnt sich ein bisschen dran“, sagt sie. Sie hat große Einsätze erlebt wie beispielsweise bei einem Brand in der Freinsheimer Altstadt, einer Gasexplosion in Ludwigshafen oder einem Tornado, der einen ganzen Straßenzug zerstörte.
Damit auch die PSNV-Helfer*innen das Erlebte verarbeiten können, bespricht sich das Team am Ende jedes Einsatzes; einmal monatlich findet zudem eine Nachbesprechung der Einsätze im kompletten Team statt. Ein Teil der Helfer, darunter auch Ingeborg Schaumann, ist zudem für die Nachbetreuung von Einsatzkräften ausgebildet. Es sei noch niemand aufgrund der emotionalen Belastung nach dem Praktikum wieder ausgestiegen, so Frau Schaumann, allerdings manchmal aus zeitlichen Gründen.
Momentan sind 22 Frauen und Männer in der PSNV Grünstadt aktiv, zudem drei Praktikanten, die die Einsätze begleiten. Die Aktiven sind meist im mittleren Alter und kommen aus allen Berufsgruppen.
Gerne würde Frau Schaumann das Team noch um einige Psychotherapeut*innen erweitern, die aufgrund ihres Fachwissens für die Mitarbeit in der PSNV prädestiniert, aber dennoch bisher kaum vertreten sind. Wer sich für die Mitarbeit in der PSNV interessiert und die Ausbildung absolvieren möchte, sollte mindestens 23 Jahre alt, psychisch und physisch belastbar sein und einen Führerschein besitzen. Außerdem brauchen Interessenten „sehr viel Toleranz, jeden Menschen so zu akzeptieren wie er ist und nicht zu werten, wenn man zu einem Einsatzort kommt“, ergänzt Frau Schaumann. „Man sollte in der Lage sein, sehr schnell sehr viel Aufmerksamkeit auf alles zu richten, was man sieht und hört und das für die Betreuung der Betroffenen zu nutzen.“ Dann kann es gelingen, den Betroffenen „Oasen der Geborgenheit inmitten eines unfassbaren Chaos zu schaffen“, wie es auf einem Flyer der PSNV Grünstadt heißt. Diesen Flyer, der alle wichtige Informationen über die Ausbildung für die PSNV enthält, finden Sie hier.
Die LPK RLP dankt Frau Ingeborg Schaumann herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.