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Psychotherapeut*innen als Sachverständige für die gutachterliche Tätigkeit

Seit Sommer 2024 gibt es in Rheinland-Pfalz die neue Curriculare Fortbildung „Gutachterliche Tätigkeit im Bereich der Rechtspsychologie“. Vorher war der Zugang zu diesem Titel in Form einer Weiterbildung organisiert. Die neue Struktur bringt für Kammermitglieder den Vorteil mit sich, dass nun auch außerhalb von Rheinland-Pfalz absolvierte Inhalte des Curriculums hier anerkannt werden können. Auf diesem neuen Weg wurde unter anderem der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Onur Kirik als Gutachter für Familienrecht von der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (LPK RLP) anerkannt. Er ist Mitglied der Vertreterversammlung der Kammer und des Ausschusses für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Darüber hinaus ist er Mitglied der Sachverständigenkommission der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes. Im Gespräch mit der LPK RLP gab er einen Einblick in seine Tätigkeit als Gutachter für Familienrecht.

Herr Kirik ist seit zehn Jahren als Gutachter tätig. Bei seiner damaligen Anstellung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik im Saarland erhielt er die Möglichkeit, die Erstellung von Unterbringungsgutachten zu begleiten und beschloss daraufhin, sich als Gutachter für Familienrecht zu qualifizieren. Am IQFSV (Institut für Qualitätssicherung forensischer Sachverständigentätigkeit) in Mainz belegte er die Basis-Module und spezialisierte sich in Nürnberg am IVS (Institut der Gesellschaft für Verhaltenstherapeutisch fundierte Psychotherapie, Verhaltensmedizin, Systemisch fundierte Psychotherapie und Sexuologie). Anschließend wurde er von der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes als Gutachter für Familienrecht anerkannt und konnte bereits geknüpfte Kontakte zu saarländischen Familiengerichten nutzen, um erste Aufträge zu erhalten. Onur Kirik hat die Erfahrung gemacht, dass Richter*innen oft händeringend nach geeigneten Gutachter*innen suchen, häufig aber gar nicht wissen, dass neben Psychiater*innen auch (Psychologische) Psychotherapeut*innen sowie Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeut*innen entsprechend fortgebildet sein können und die gesuchte Qualifikationen mitbringen. Die von der Landespsychotherapeutenkammer anerkannten Gutachter*innen erfüllen die Vorgaben der Richtlinie zur Curriculare Fortbildung zur gutachterlichen Tätigkeit für Psychotherapeut*innen gemäß § 9 Fortbildungsordnung, wodurch gewährleistet wird, dass ihre Gutachten auch den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht entsprechen. Meist bestehe an den Gerichten jedoch Unkenntnis darüber, dass die Landespsychotherapeutenkammern Listen mit entsprechend qualifizierten Mitgliedern führen, berichtet Herr Kirik. Persönliche Kontakte und Empfehlungen seien daher zusätzlich von Bedeutung; auch mit aktiver Akquise hat Herr Kirik gute Erfahrung gemacht: Erfolgreich hat er verschiedene Richter*innen und Gerichte angeschrieben, sich vorgestellt und seine Dienste angeboten. Bei guter Zusammenarbeit und Bekanntheit bei den Familiengerichten, werde man immer wieder beauftragt.


Die Auftragslage ist gut, so dass er mittlerweile auch seine gutachterliche Tätigkeit mit weiteren, unterstützenden, qualifizierten Mitarbeiter*innen ausbauen konnte, um seine bisherigen Kapazitäten zu erweitern. Beauftragt wird er von sämtlichen Familiengerichten in Rheinland- Pfalz, Saarland und Baden- Württemberg sowie den Oberlandesgerichten.


Mittlerweile ist Onur Kirik in Kaiserslautern mit seinem „Psychotherapiezentrum Kirik & KollegInnen“ niedergelassen. Neben der regulären psychotherapeutischen Praxistätigkeit erstellt er regelmäßig familienrechtliche Gutachten.Die Auftragslage ist gut, so dass er mittlerweile auch seine gutachterliche Tätigkeit mit weiteren, unterstützenden, qualifizierten Mitarbeiter*innen ausbauen konnte, um seine bisherigen Kapazitäten zu erweitern. Beauftragt wird er von sämtlichen Familiengerichten in Rheinland- Pfalz, Saarland und Baden- Württemberg sowie den Oberlandesgerichten. Die Gerichte wenden sich mit klaren Fragen an den Gutachter, die meist das Sorge- oder Umgangsrecht betreffen, die Erziehungseignung der Eltern oder mögliche Kindeswohlgefährdung. Die juristischen Fragen des Gerichts müssen zur Beantwortung zunächst in psychologische Fragestellungen „übersetzt“ werden, etwa nach dem Bindungsverhalten, der Feinfühligkeit oder den Förderkompetenzen. Für die Erstellung des Gutachtens ist im Vorfeld ein gründliches Studium der Verfahrensakten notwendig. Anschließend werden die persönlichen Untersuchungen mit den Eltern durchgeführt, was nicht immer einfach ist, da die Zustimmung zur Begutachtung freiwillig ist. Es folgen explorative Gespräche, bei jüngeren Kindern spielbasierte Interviews, um deren Perspektive und Willen kennen zu lernen. Auch die Interaktion des Kindes mit den Eltern wird beobachtet sowie verschiedene diagnostische Testverfahren angewendet. Im Rahmen von Hausbesuchen wird begutachtet, wie sich das familiäre und häusliche Zusammenleben konkret gestaltet. Nach Möglichkeit werden zur Erstellung des Gutachtens auch Gespräche mit anderen Beteiligten geführt, beispielsweise mit Mitarbeiter*innen von Kitas oder Schulen, dem Jugendamt, behandelnden Ärzt*innen und sozialpädagogischen Familienhilfen, was sich insgesamt häufig sehr zeitintensiv gestaltet und viele externe Termine mit sich bringen kann.


Die Erstellung eines professionellen Gutachtens im Dienste des Kindeswohles sei eine sinnvolle und sehr wichtige Tätigkeit, und obendrein abwechslungsreich und interessant, wie Herr Kirik betont. Er möchte Kolleg*Innen ermutigen, sich ebenfalls als Sachverständige zu qualifizieren. Der Bedarf sei groß, da der Mangel an Sachverständigen die Gerichtsverfahren in die Länge zieht, so dass Unterstützung willkommen sei.


Dass die Terminfindung für die Gespräche von zahlreichen Faktoren und dem Zeitplan verschiedenster Beteiligter abhängig ist, zieht den Begutachtungsprozess nicht selten in die Länge. Über drei bis vier Monate erstreckt sich die Erstellung eines ca. 70 bis 120 Seiten langen Gutachtens laut Herrn Kirik, wobei die Arbeitszeit nach einem festen Stundensatz vergütet wird. Die vom Gericht vorgegebene Zeitfrist zur Gutachtenerstellung sollte nicht überschritten werden, da sonst das Gerichtsverfahren verzögert wird und Ordnungsgelder anfallen können. Vor allem bei drohender Kindeswohlgefährdung ist Eile geboten, wenn etwa entschieden werden soll, ob eine Inobhutnahme des Kindes nötig ist.

Für eine solche Entscheidung mit gravierenden Konsequenzen für das Leben der Betroffenen mitverantwortlich zu sein, kann für manche Menschen belastend sein, wie Herr Kirik berichtet. Auch der Umgang mit den in der Regel hochstrittigen, oft sehr emotionalen Eltern und die Hausbesuche in teilweise erschreckenden Lebensverhältnissen seien nicht einfach. Zudem stoße man zeitweise auf Ablehnung, da man oft fälschlicherweise zum Beispiel als Vertreter des Jugendamtes wahrgenommen werde. „Sie gehen in manche langwierige, hochstrittige Verfahren als Buhmann in das Spiel“, resümiert Herr Kirik. Umso wichtiger ist ihm die Beziehungsarbeit mit den Eltern, bei der er ihre Sichtweise, ihre Ressourcen, Einstellungen und Lebenshistorie exploriert. Dafür ist es zunächst notwendig, über die Rolle des Sachverständigen und des Begutachtungsprozesses aufzuklären. Hilfreich sei im Umgang mit den Eltern seine psychotherapeutische Expertise, so Herr Kirik. Im Idealfall steht am Ende des Prozesses ein lösungsorientiertes Gutachten und es gelingt, zwischen den hochstrittigen Parteien im Sinne des Kindeswohls zu vermitteln. Dies seien schöne Erfolgserlebnisse, berichtet der Gutachter. Im Anschluss werde das Sachverständigengutachten bei der mündlichen Verhandlung bei zu klärenden Fragen erörtert. Hierzu benötige es Professionalität, Expertise und Gelassenheit, da das Gutachten teilweise gegen scharfe Schriftsätze der Anwält*innen verteidigt werde müsse.

Die Erstellung eines professionellen Gutachtens im Dienste des Kindeswohles sei eine sinnvolle und sehr wichtige Tätigkeit, und obendrein abwechslungsreich und interessant, wie Herr Kirik betont. Er möchte Kolleg*Innen ermutigen, sich ebenfalls als Sachverständige zu qualifizieren. Der Bedarf sei groß, da der Mangel an Sachverständigen die Gerichtsverfahren in die Länge zieht, so dass Unterstützung willkommen sei.

 

Die LPK RLP dankt Onur Kirik herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.

[Onur Kirik]

16.01.2025
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