Pressemeldung der BPtK: Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik unzureichend
Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik unzureichend
BPtK-Studie zur stationären Versorgung psychisch kranker Menschen
Berlin, 26. Juni 2014: Psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser verfügen über zu wenig und teilweise nicht ausreichend qualifiziertes Personal, um ihren Patienten eine leitlinienorientierte Behandlung anbieten zu können. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zur stationären Versorgung psychisch kranker Menschen. Für diese Studie hat das IGES Institut im Auftrag der BPtK mehr als 1.500 in Krankenhäusern arbeitende Psychotherapeuten befragt.
„Psychisch kranke Menschen, die an einer Schizophrenie oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, können nicht davon ausgehen, dass sie in jedem Krankenhaus eine Behandlung nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erhalten“, stellt BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter fest. „Wir brauchen dringend neue Mindestanforderungen für eine angemessene personelle Ausstattung der Kliniken, in denen psychisch kranke Menschen behandelt werden.“
Schizophrenie
Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, die häufig stationär behandelt wird. Im Jahr 2012 wurden deshalb fast 130.000-mal Patienten in eine Klinik eingewiesen. Das entspricht knapp 18 Prozent aller Fälle. Die Jahresprävalenz für psychotische Erkrankungen liegt bei 2,6 Prozent.
Gemäß den Empfehlungen evidenzbasierter Leitlinien (zum Beispiel NICE-Leitlinie 2014) soll Patienten mit Schizophrenie neben einer medikamentösen Behandlung in allen Phasen der Erkrankung – auch in der Akutphase – eine psychotherapeutische Behandlung angeboten werden. Auch die sich derzeit in Überarbeitung befindliche S3-Leitlinie „Schizophrenie“ aus dem Jahr 2005 empfiehlt kognitive Verhaltenstherapie in der Anfangsphase und zur Rückfallprophylaxe. In der Akutphase wird Psychotherapie als Option genannt.
Die durchschnittliche Behandlungsdauer von Patienten mit einer Schizophrenie beträgt knapp fünf Wochen und liegt damit über der durchschnittlichen Verweildauer aller Diagnosegruppen von gut drei Wochen. In nahezu allen Kliniken (94 Prozent) gaben die befragten Psychotherapeuten an, dass alle Patienten mit einer Schizophrenie medikamentös behandelt werden. Aber nur in 46 Prozent der Einrichtungen wird auch allen Patienten eine Psychotherapie angeboten. In 11 Prozent der Häuser fehlt Psychotherapie vollständig im Behandlungsangebot und in weiteren 42 Prozent wird Psychotherapie nur einem Teil der Patienten angeboten (Abbildung 1).
Borderline-Persönlichkeitsstörung
An einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) leiden etwas mehr als drei Prozent der stationär behandelten Patienten (23.000 Fälle im Jahr 2012).
Für die Behandlung einer BPS gibt es verschiedene störungsspezifische Psychotherapiemethoden, deren Wirksamkeit wissenschaftlich gut belegt ist. So haben sich die übertragungsfokussierte und mentalisierungsbasierte Psychotherapie als tiefenpsychologische Methoden und die dialektisch-behaviorale Therapie als verhaltenstherapeutische Methode gut bewährt. Bei allen Methoden handelt es sich um intensive Psychotherapieprogramme mit einer hohen Anzahl an Einzel- und Gruppensitzungen. Die Programme sehen vor, dass sich die stationäre Behandlung in der Regel über zwölf Wochen erstreckt und im Anschluss ambulant weitergeführt wird. Die tatsächliche stationäre Behandlungsdauer betrug im Jahr 2012 bei diesen Patienten aber nur durchschnittlich drei Wochen.
Die befragten Psychotherapeuten berichteten, dass in fast allen Einrichtungen (85,4 Prozent) Borderline-Patienten immer eine Psychotherapie zugänglich ist. Aber weder Behandlungszeit noch -intensität reichen im Durchschnitt aus, um die genannten evidenzbasierten, störungsspezifischen Behandlungen zu ermöglichen. Eine weitere Schwierigkeit sei, dass häufig keine ambulante Weiterbehandlung erfolge, so die befragten Psychotherapeuten. Eine Verbesserung der stationären Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ist deshalb notwendig. Gerade für diese Patienten sind sektorenverbindende Kooperationen zu schaffen, die eine nahtlose ambulante Weiterbehandlung mit denselben Methoden über eine ausreichend lange Zeit ermöglichen.
Unipolare Depression
Unipolare Depressionen sind nach den Suchterkrankungen die am häufigsten stationär behandelten psychischen Erkrankungen. Im Jahr 2012 wurden knapp 200.000-mal Patienten mit einer Depression in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen. Das entspricht 27 Prozent aller Fälle in der Psychiatrie. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug knapp fünf Wochen und ist damit länger als die durchschnittliche Behandlungsdauer über alle Diagnosegruppen (drei Wochen).
Überwiegend handelt es sich bei den stationär behandelten Depressionen um schwere depressive Episoden oder chronische Depressionen. Nach den Empfehlungen der Nationalen VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ ist Psychotherapie bei schweren depressiven Erkrankungen oder chronischen Depressionen in Kombination mit einer Pharmakotherapie die wirksamste Therapie.
Knapp 83 Prozent der befragten Psychotherapeuten geben an, dass in ihrer Einrichtung allen Patienten mit unipolarer Depression eine psychotherapeutische Behandlung angeboten wird. In fast genauso vielen Einrichtungen (80 Prozent) bekommen auch alle Patienten eine Psychopharmakotherapie angeboten. Diese Zahlen stehen somit im Einklang mit einer leitliniengerechten Behandlung.
Allgemeinkrankenhäuser bieten besonders selten Psychotherapie an
Ob und in welcher Intensität zum Beispiel Patienten mit einer Schizophrenie ein psychotherapeutisches Angebot erhalten, ist auch davon abhängig, ob Patienten in einem Allgemeinkrankenhaus oder einer Universitätsklinik behandelt werden.
Bei der Bewertung des psychotherapeutischen Angebots weisen die Befragten aus psychiatrischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern insgesamt auf die größten Defizite hin: Bei Patienten mit einer „Schizophrenie“ antwortet ein Viertel auf die Frage, ob alle Patienten ein angemessenes psychotherapeutisches Angebot erhalten, mit „Trifft nicht zu“; in Universitätskliniken waren es nur sieben Prozent der Befragten. Dabei werden die Budgets aller Krankenhäuser grundsätzlich auf der gleichen Basis (Psychiatrie-Personalverordnung) verhandelt. Theoretisch hat damit jedes Krankenhaus die Möglichkeit, für die gleichen Patientengruppen auch gleich viel Personal einzusetzen.
Qualifikation des Personals
Für psychotherapeutische Behandlungen benötigen die Krankenhäuser ausreichend qualifiziertes Personal: Dazu gehören Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, psychotherapeutisch tätige Ärzte sowie Psychotherapeuten in fortgeschrittener Ausbildung (das heißt nicht während der Praktischen Tätigkeit) oder Ärzte in fortgeschrittener Weiterbildung unter Supervision. In vielen psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern übernehmen jedoch Psychotherapeuten, die noch ganz am Anfang ihrer Ausbildung stehen (sogenannte Psychotherapeuten im Praktikum – PiP), einen maßgeblichen Teil der psychotherapeutischen Versorgung. Viele PiP berichten, dass sie in ihren Einrichtungen wie ausgebildete Psychotherapeuten eingesetzt werden.
Mindestanforderungen des G-BA
Die Behandlungsqualität in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen hängt maßgeblich von Anzahl und Qualifikation des therapeutischen Personals ab. Für das neue pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) erarbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Empfehlungen für die Ausstattung der Einrichtungen mit therapeutischem Personal. „Neue Empfehlungen zur Personalausstattung der Kliniken sind überfällig.“ BPtK-Präsident Richter fordert: „Der G-BA sollte sie spätestens bis Ende 2016 vorlegen.“ Empfehlungen allein sichern aber keine ausreichende Strukturqualität. „Der Gesetzgeber muss klarstellen, dass die Empfehlungen des G-BA zu den Mindestanforderungen der personellen Ausstattung für die Kliniken verbindlich sind“, fordert Richter. Außerdem sollte das geplante Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen verpflichtet werden, regelmäßig die Qualitätsberichte der Krankenhäuser hinsichtlich dieser Daten auszuwerten und die Ergebnisse einrichtungsbezogen, vergleichend und in verständlicher Form zu publizieren.
Sektorenverbindende Versorgung notwendig
Die Verweildauer von psychisch kranken Menschen in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern reicht in der Regel nicht aus, um eine psychotherapeutische Behandlung abzuschließen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die ambulante Weiterbehandlung gesichert ist. Nur durch eine sektorenverbindende Kooperation kann eine ausreichend intensive und kontinuierliche therapeutische Behandlung gewährleistet werden.
„Gerade schwer und chronisch psychisch kranke Menschen mit komplexem Behandlungsbedarf benötigen Versorgungsnetze, in denen multiprofessionelle Behandlungsteams zeitnah eine angemessene ambulante Behandlung sicherstellen“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Eine solche ambulant orientierte Versorgung, bei Bedarf bis in das Zuhause des Patienten hinein (Home Treatment), ist auch bei psychisch kranken Kindern und Jugendlichen möglich.“ Entsprechende Netze sollten – analog zur spezialfachärztlichen Versorgung – für psychisch kranke Menschen flächendeckend geschaffen werden. Für diese Weiterentwicklung der Regelversorgung kann auf die Erfahrungen aus diversen Modellprojekten, Verträgen zur Integrierten Versorgung sowie den psychiatrischen Institutsambulanzen zurückgegriffen werden.
Psychotherapeuten im Krankenhaus
In der stationären Versorgung sind fast 6.000 Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten tätig. Damit arbeiten in Psychiatrie und Psychosomatik fast so viele Psychotherapeuten wie Fachärzte (Abbildung 2).
Aufgrund des erheblichen Mangels an Fachärzten in den Kliniken werden unbesetzte Arztstellen häufig mit Psychotherapeuten besetzt. Das ist möglich, weil Psychotherapeuten mehrheitlich vergleichbare Aufgaben übernehmen können wie Fachärzte, mit Ausnahme der medikamentösen Behandlung. Psychotherapeuten sind während ihrer Arbeitszeit fast ausschließlich – mittelbar oder unmittelbar – mit der Behandlung von Patienten beschäftigt (86 Prozent). Etwa die Hälfte der Psychotherapeuten entscheidet über die wesentlichen behandlungsrelevanten Sachverhalte eigenständig. Dazu gehören die Entscheidung über die Indikation zur Psychotherapie sowie die Beurteilung des Behandlungsfortschritts und gegebenenfalls die Änderung des Behandlungsplans. Auch über Entlassung oder Verlängerung der Behandlung entscheidet fast ein Drittel selbstständig. Drei von vier Psychotherapeuten sind außerdem an den Entscheidungen zur Psychopharmakotherapie beteiligt – trotz der bestehenden rechtlichen Beschränkungen.
Die befragten Psychotherapeuten berichten, dass sie mehrheitlich (56 Prozent) als Diplom-Psychologen oder Diplom-(Sozial-)Pädagogen eingestellt wurden. Ihre besondere, mit der Approbation erworbene Qualifikation und ihre Kompetenzen in der Behandlung psychischer Erkrankungen werden im Arbeitsvertrag nicht berücksichtigt und nicht für die Patienten erkennbar ausgewiesen. Durch die Eingruppierung und die überholte berufliche Bezeichnung wird nicht transparent, ob ein Krankenhaus über die Personalausstattung verfügt, die für eine leitliniengerechte psychotherapeutische Behandlung notwendig ist.
Knapp die Hälfte (48,6 Prozent) der befragten Psychotherapeuten übernimmt faktisch Leitungs- und Führungsaufgaben im Krankenhaus. Davon wird aber wiederum der Hälfte keine formale Leitungsfunktion (25,1 Prozent) zugestanden. Psychotherapeuten mit informeller Leitungsfunktion übernehmen in der Regel die gleichen Aufgaben wie Psychotherapeuten mit „offizieller“ Leitungsfunktion. Das Einkommen von in Krankenhäusern angestellten Psychotherapeuten ist meistens geringer als das Einkommen von Fachärzten (in über 60 Prozent der Fälle).
„Psychotherapeuten sollten entsprechend ihrer Qualifikation und ihren faktischen Aufgaben in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern beschäftigt und bezahlt werden“, fordert BPtK-Präsident Richter. „Einrichtungen, die überwiegend der Versorgung psychisch kranker Menschen dienen, sollten auch unter psychotherapeutischer Leitung stehen können.“
Studie
Mit der Studie legt die BPtK Daten zur stationären Versorgungsqualität psychisch kranker Menschen aus der Perspektive einer der wesentlichen Behandlergruppen in Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik vor. Die Ergebnisse können als eine Art Bestandsaufnahme vor Einführung des neuen PEPP genutzt werden und erlauben einen Vorher-Nachher-Vergleich.
BPtK-Studie zur stationären Versorgung psychisch kranker Menschen
Berlin, 26. Juni 2014: Psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser verfügen über zu wenig und teilweise nicht ausreichend qualifiziertes Personal, um ihren Patienten eine leitlinienorientierte Behandlung anbieten zu können. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zur stationären Versorgung psychisch kranker Menschen. Für diese Studie hat das IGES Institut im Auftrag der BPtK mehr als 1.500 in Krankenhäusern arbeitende Psychotherapeuten befragt.
„Psychisch kranke Menschen, die an einer Schizophrenie oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, können nicht davon ausgehen, dass sie in jedem Krankenhaus eine Behandlung nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erhalten“, stellt BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter fest. „Wir brauchen dringend neue Mindestanforderungen für eine angemessene personelle Ausstattung der Kliniken, in denen psychisch kranke Menschen behandelt werden.“
Schizophrenie
Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, die häufig stationär behandelt wird. Im Jahr 2012 wurden deshalb fast 130.000-mal Patienten in eine Klinik eingewiesen. Das entspricht knapp 18 Prozent aller Fälle. Die Jahresprävalenz für psychotische Erkrankungen liegt bei 2,6 Prozent.
Gemäß den Empfehlungen evidenzbasierter Leitlinien (zum Beispiel NICE-Leitlinie 2014) soll Patienten mit Schizophrenie neben einer medikamentösen Behandlung in allen Phasen der Erkrankung – auch in der Akutphase – eine psychotherapeutische Behandlung angeboten werden. Auch die sich derzeit in Überarbeitung befindliche S3-Leitlinie „Schizophrenie“ aus dem Jahr 2005 empfiehlt kognitive Verhaltenstherapie in der Anfangsphase und zur Rückfallprophylaxe. In der Akutphase wird Psychotherapie als Option genannt.
Die durchschnittliche Behandlungsdauer von Patienten mit einer Schizophrenie beträgt knapp fünf Wochen und liegt damit über der durchschnittlichen Verweildauer aller Diagnosegruppen von gut drei Wochen. In nahezu allen Kliniken (94 Prozent) gaben die befragten Psychotherapeuten an, dass alle Patienten mit einer Schizophrenie medikamentös behandelt werden. Aber nur in 46 Prozent der Einrichtungen wird auch allen Patienten eine Psychotherapie angeboten. In 11 Prozent der Häuser fehlt Psychotherapie vollständig im Behandlungsangebot und in weiteren 42 Prozent wird Psychotherapie nur einem Teil der Patienten angeboten (Abbildung 1).
Borderline-Persönlichkeitsstörung
An einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) leiden etwas mehr als drei Prozent der stationär behandelten Patienten (23.000 Fälle im Jahr 2012).
Für die Behandlung einer BPS gibt es verschiedene störungsspezifische Psychotherapiemethoden, deren Wirksamkeit wissenschaftlich gut belegt ist. So haben sich die übertragungsfokussierte und mentalisierungsbasierte Psychotherapie als tiefenpsychologische Methoden und die dialektisch-behaviorale Therapie als verhaltenstherapeutische Methode gut bewährt. Bei allen Methoden handelt es sich um intensive Psychotherapieprogramme mit einer hohen Anzahl an Einzel- und Gruppensitzungen. Die Programme sehen vor, dass sich die stationäre Behandlung in der Regel über zwölf Wochen erstreckt und im Anschluss ambulant weitergeführt wird. Die tatsächliche stationäre Behandlungsdauer betrug im Jahr 2012 bei diesen Patienten aber nur durchschnittlich drei Wochen.
Die befragten Psychotherapeuten berichteten, dass in fast allen Einrichtungen (85,4 Prozent) Borderline-Patienten immer eine Psychotherapie zugänglich ist. Aber weder Behandlungszeit noch -intensität reichen im Durchschnitt aus, um die genannten evidenzbasierten, störungsspezifischen Behandlungen zu ermöglichen. Eine weitere Schwierigkeit sei, dass häufig keine ambulante Weiterbehandlung erfolge, so die befragten Psychotherapeuten. Eine Verbesserung der stationären Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ist deshalb notwendig. Gerade für diese Patienten sind sektorenverbindende Kooperationen zu schaffen, die eine nahtlose ambulante Weiterbehandlung mit denselben Methoden über eine ausreichend lange Zeit ermöglichen.
Unipolare Depression
Unipolare Depressionen sind nach den Suchterkrankungen die am häufigsten stationär behandelten psychischen Erkrankungen. Im Jahr 2012 wurden knapp 200.000-mal Patienten mit einer Depression in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen. Das entspricht 27 Prozent aller Fälle in der Psychiatrie. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug knapp fünf Wochen und ist damit länger als die durchschnittliche Behandlungsdauer über alle Diagnosegruppen (drei Wochen).
Überwiegend handelt es sich bei den stationär behandelten Depressionen um schwere depressive Episoden oder chronische Depressionen. Nach den Empfehlungen der Nationalen VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ ist Psychotherapie bei schweren depressiven Erkrankungen oder chronischen Depressionen in Kombination mit einer Pharmakotherapie die wirksamste Therapie.
Knapp 83 Prozent der befragten Psychotherapeuten geben an, dass in ihrer Einrichtung allen Patienten mit unipolarer Depression eine psychotherapeutische Behandlung angeboten wird. In fast genauso vielen Einrichtungen (80 Prozent) bekommen auch alle Patienten eine Psychopharmakotherapie angeboten. Diese Zahlen stehen somit im Einklang mit einer leitliniengerechten Behandlung.
Allgemeinkrankenhäuser bieten besonders selten Psychotherapie an
Ob und in welcher Intensität zum Beispiel Patienten mit einer Schizophrenie ein psychotherapeutisches Angebot erhalten, ist auch davon abhängig, ob Patienten in einem Allgemeinkrankenhaus oder einer Universitätsklinik behandelt werden.
Bei der Bewertung des psychotherapeutischen Angebots weisen die Befragten aus psychiatrischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern insgesamt auf die größten Defizite hin: Bei Patienten mit einer „Schizophrenie“ antwortet ein Viertel auf die Frage, ob alle Patienten ein angemessenes psychotherapeutisches Angebot erhalten, mit „Trifft nicht zu“; in Universitätskliniken waren es nur sieben Prozent der Befragten. Dabei werden die Budgets aller Krankenhäuser grundsätzlich auf der gleichen Basis (Psychiatrie-Personalverordnung) verhandelt. Theoretisch hat damit jedes Krankenhaus die Möglichkeit, für die gleichen Patientengruppen auch gleich viel Personal einzusetzen.
Qualifikation des Personals
Für psychotherapeutische Behandlungen benötigen die Krankenhäuser ausreichend qualifiziertes Personal: Dazu gehören Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, psychotherapeutisch tätige Ärzte sowie Psychotherapeuten in fortgeschrittener Ausbildung (das heißt nicht während der Praktischen Tätigkeit) oder Ärzte in fortgeschrittener Weiterbildung unter Supervision. In vielen psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern übernehmen jedoch Psychotherapeuten, die noch ganz am Anfang ihrer Ausbildung stehen (sogenannte Psychotherapeuten im Praktikum – PiP), einen maßgeblichen Teil der psychotherapeutischen Versorgung. Viele PiP berichten, dass sie in ihren Einrichtungen wie ausgebildete Psychotherapeuten eingesetzt werden.
Mindestanforderungen des G-BA
Die Behandlungsqualität in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen hängt maßgeblich von Anzahl und Qualifikation des therapeutischen Personals ab. Für das neue pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) erarbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Empfehlungen für die Ausstattung der Einrichtungen mit therapeutischem Personal. „Neue Empfehlungen zur Personalausstattung der Kliniken sind überfällig.“ BPtK-Präsident Richter fordert: „Der G-BA sollte sie spätestens bis Ende 2016 vorlegen.“ Empfehlungen allein sichern aber keine ausreichende Strukturqualität. „Der Gesetzgeber muss klarstellen, dass die Empfehlungen des G-BA zu den Mindestanforderungen der personellen Ausstattung für die Kliniken verbindlich sind“, fordert Richter. Außerdem sollte das geplante Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen verpflichtet werden, regelmäßig die Qualitätsberichte der Krankenhäuser hinsichtlich dieser Daten auszuwerten und die Ergebnisse einrichtungsbezogen, vergleichend und in verständlicher Form zu publizieren.
Sektorenverbindende Versorgung notwendig
Die Verweildauer von psychisch kranken Menschen in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern reicht in der Regel nicht aus, um eine psychotherapeutische Behandlung abzuschließen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die ambulante Weiterbehandlung gesichert ist. Nur durch eine sektorenverbindende Kooperation kann eine ausreichend intensive und kontinuierliche therapeutische Behandlung gewährleistet werden.
„Gerade schwer und chronisch psychisch kranke Menschen mit komplexem Behandlungsbedarf benötigen Versorgungsnetze, in denen multiprofessionelle Behandlungsteams zeitnah eine angemessene ambulante Behandlung sicherstellen“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Eine solche ambulant orientierte Versorgung, bei Bedarf bis in das Zuhause des Patienten hinein (Home Treatment), ist auch bei psychisch kranken Kindern und Jugendlichen möglich.“ Entsprechende Netze sollten – analog zur spezialfachärztlichen Versorgung – für psychisch kranke Menschen flächendeckend geschaffen werden. Für diese Weiterentwicklung der Regelversorgung kann auf die Erfahrungen aus diversen Modellprojekten, Verträgen zur Integrierten Versorgung sowie den psychiatrischen Institutsambulanzen zurückgegriffen werden.
Psychotherapeuten im Krankenhaus
In der stationären Versorgung sind fast 6.000 Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten tätig. Damit arbeiten in Psychiatrie und Psychosomatik fast so viele Psychotherapeuten wie Fachärzte (Abbildung 2).
Aufgrund des erheblichen Mangels an Fachärzten in den Kliniken werden unbesetzte Arztstellen häufig mit Psychotherapeuten besetzt. Das ist möglich, weil Psychotherapeuten mehrheitlich vergleichbare Aufgaben übernehmen können wie Fachärzte, mit Ausnahme der medikamentösen Behandlung. Psychotherapeuten sind während ihrer Arbeitszeit fast ausschließlich – mittelbar oder unmittelbar – mit der Behandlung von Patienten beschäftigt (86 Prozent). Etwa die Hälfte der Psychotherapeuten entscheidet über die wesentlichen behandlungsrelevanten Sachverhalte eigenständig. Dazu gehören die Entscheidung über die Indikation zur Psychotherapie sowie die Beurteilung des Behandlungsfortschritts und gegebenenfalls die Änderung des Behandlungsplans. Auch über Entlassung oder Verlängerung der Behandlung entscheidet fast ein Drittel selbstständig. Drei von vier Psychotherapeuten sind außerdem an den Entscheidungen zur Psychopharmakotherapie beteiligt – trotz der bestehenden rechtlichen Beschränkungen.
Die befragten Psychotherapeuten berichten, dass sie mehrheitlich (56 Prozent) als Diplom-Psychologen oder Diplom-(Sozial-)Pädagogen eingestellt wurden. Ihre besondere, mit der Approbation erworbene Qualifikation und ihre Kompetenzen in der Behandlung psychischer Erkrankungen werden im Arbeitsvertrag nicht berücksichtigt und nicht für die Patienten erkennbar ausgewiesen. Durch die Eingruppierung und die überholte berufliche Bezeichnung wird nicht transparent, ob ein Krankenhaus über die Personalausstattung verfügt, die für eine leitliniengerechte psychotherapeutische Behandlung notwendig ist.
Knapp die Hälfte (48,6 Prozent) der befragten Psychotherapeuten übernimmt faktisch Leitungs- und Führungsaufgaben im Krankenhaus. Davon wird aber wiederum der Hälfte keine formale Leitungsfunktion (25,1 Prozent) zugestanden. Psychotherapeuten mit informeller Leitungsfunktion übernehmen in der Regel die gleichen Aufgaben wie Psychotherapeuten mit „offizieller“ Leitungsfunktion. Das Einkommen von in Krankenhäusern angestellten Psychotherapeuten ist meistens geringer als das Einkommen von Fachärzten (in über 60 Prozent der Fälle).
„Psychotherapeuten sollten entsprechend ihrer Qualifikation und ihren faktischen Aufgaben in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern beschäftigt und bezahlt werden“, fordert BPtK-Präsident Richter. „Einrichtungen, die überwiegend der Versorgung psychisch kranker Menschen dienen, sollten auch unter psychotherapeutischer Leitung stehen können.“
Studie
Mit der Studie legt die BPtK Daten zur stationären Versorgungsqualität psychisch kranker Menschen aus der Perspektive einer der wesentlichen Behandlergruppen in Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik vor. Die Ergebnisse können als eine Art Bestandsaufnahme vor Einführung des neuen PEPP genutzt werden und erlauben einen Vorher-Nachher-Vergleich.
27.06.2014