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Post-Covid und ME/CFS: Die Rolle der Psychotherapie

Die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz hat sich am 31. Januar 2024 in einer digitalen Veranstaltung dem Thema „Post-Covid, ME/CFS und Psychotherapie“ gewidmet. Dass enormer Bedarf an Informationen zu diesem Krankheitsbild besteht, stellte die Teilnehmerzahl unter Beweis. Die 500 zur Verfügung stehenden Plätze waren innerhalb kürzester Zeit ausgebucht und die Warteliste füllte sich schnell. Pressevertreter*innen von SWR und Ärzteblatt interessierten sich ebenfalls für die Veranstaltung.

Post-Covid und ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatique-Syndrom) sind keine psychischen, sondern neuroimmunologische Erkrankungen, stellte Kammerpräsidentin Sabine Maur in ihrer Einführung klar. Die Krankheit sei dem entsprechend nicht durch Psychotherapie „heilbar“, allerdings seien psychologische Faktoren in der Krankheitsverarbeitung sehr wichtig. Außerdem könne die Post-Covid-Erkrankung psychische Krankheiten zur Folge haben oder verstärken. Daher sei ein multiprofessioneller Ansatz und eine gute Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen bedeutsam.

Dies betonte auch Daniel Stich, Ministerialdirektor im Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit, in seinem fachkundigen Grußwort. Er begrüßte die Teilnehmer*innen der Veranstaltung, auch im Namen des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministers Clemens Hoch, und dankte der Landespsychotherapeutenkammer für ihr Engagement in der Versorgung von Post-Covid-Patient*innen. Er erinnerte daran, dass es in Rheinland-Pfalz rund 80.000 Betroffene gibt, die durch die Schaffung der Post-Covid-Ambulanzen seit Herbst 2023 eine Anlaufstelle haben. Damit gebe es nun ein klares Verfahren für die somatischen Beschwerden, doch auch die psychotherapeutische Betreuung sei ein wichtiger Bestandteil der Versorgung und solle stärker an die Ambulanzen angebunden werden. Immer noch gebe es große Wissensdefizite bezüglich der Krankheit, daher seien Fortbildungsveranstaltungen wie diese sehr wichtig. Er sei dankbar, dass Landespsychotherapeutenkammer und Gesundheitsministerium gemeinsam am gleichen Strang ziehen.

Das Konzept der neuen Post-Covid-Ambulanzen stellte LPK-Geschäftsführerin Petra Regelin näher vor. Die fünf Ambulanzen befinden sich in Mainz, Koblenz, Worms, Trier und Kaiserslautern und sollen in komplexen Fällen die interdisziplinäre Versorgung der Patient*innen in einem Netzwerk von Psychotherapie- und Facharztangeboten koordinieren. „Ich habe im Vorfeld mit den fünf Ambulanzen gesprochen und nachgefragt, ob grundsätzlich ein Bedarf an Psychotherapie besteht. Dies wurde von allen sehr vehement bejaht“, berichtete Frau Regelin. Daher bat die Landespsychotherapeutenkammer die Teilnehmer*innen bereits im Vorfeld der Veranstaltung, die Kontaktdaten ihrer Praxis an die Kammer zu melden, wenn sie an der psychotherapeutischen Versorgung von Post-Covid-Patient*innen teilnehmen möchten. Aus den Rückmeldungen wird eine Liste erstellt und an die Post-Covid-Ambulanzen übermittelt. Die Kammer konnte erfreulicherweise bereits 36 Praxen auf die Liste setzen.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und das Engagement in der Versorgung von Post-Covid-Patient*innen in Rheinland-Pfalz lobte Hauptrednerin Bettina Grande als „vorbildlich“. Die Psychologische Psychotherapeutin ist Inhaberin einer Schwerpunktpraxis für Post-Covid und ME/CFS in Heidelberg. Sie hat bereits in zahlreichen Vorträgen, Seminaren, Podcasts und Interviews Aufklärungsarbeit über die Themen Post-Covod und ME/CFS geleistet, außerdem in wissenschaftlichen Publikationen und auf Fachkongressen. Ihr Ziel sei es, Psychotherapeut*innen „gutes Rüstzeug“ für ihre bedeutende Rolle in der Versorgung der Betroffenen an die Hand zu geben.

In Ihrem Vortrag stellte sie zunächst ausführlich das Krankheitsbild vor. Halten die Krankheitssymptome acht Wochen nach der akuten Covid-19-Erkrankung noch an, spricht man von „Long Covid“. Die WHO ging im Juni 2023 von 36 Millionen Betroffenen in Europa aus, wobei eine hohe Dunkelziffer zu befürchten ist. Es sind über 200 Symptome der Erkrankung beschrieben, die überwiegend systemischer und neurologischer Art sind, unter anderem krankhafte Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme, Kopf- und Muskelschmerzen.  Beim Vorliegen einer Post Exertional Malaise (PEM) tritt selbst nach geringen körperlichen oder kognitiven Belastungen eine deutliche Zustandsverschlechterung auf. PEM kann sich „wie eine Klammer um alle Symptome schließen“, erklärte Frau Grande. Sind die Beschwerden nach 12 Wochen immer noch vorhanden, wird die Krankheit als „Post-Covid Syndrom“ bezeichnet. Im schlimmsten Fall sind auch nach sechs Monaten noch deutliche Symptome zu beklagen, dann liegt ME/CFS vor. Diese Erkrankung kann nicht nur durch eine SARS-CoV2-Infektion verursacht, sondern auch durch andere Bakterien und Viren ausgelöst werden. Die meisten Erkrankten können das Haus kaum mehr verlassen und sind nicht mehr arbeitsfähig. Off-Label-Therapien mit entzündungshemmenden Wirkstoffen können zu einer leichten Besserung der Beschwerden führen, eine Heilung ist bisher nicht erzielbar.
 
Frau Grande betonte die große Bedeutung einer gründlichen Anamnese zu Beginn der Psychotherapie mit Betroffenen. Die Symptome von Post-Covid und ME/CFS dürften nicht mit den Symptomen einer psychischen Erkrankung verwechselt werden. Die häufigste Fehldiagnose sei die der Depression, aber es könne auch zu Verwechslungen mit Angststörung, Panikattacken und somatoformen Störungen kommen. Häufig würden die Beschwerden zu Unrecht psychologisiert oder auch bagatellisiert, weil eine körperliche Ursache der vielfältigen Symptome schwer zu finden sei.
Ob PEM vorliege, könne mit Hilfe von Handkraftmessungen (Hand Dynamo-Test) und eines Screening-Bogens der Charité überprüft werden. Bei Verdacht auf PEM sollen Psychotherapeut*innen die interdisziplinäre Abklärung und Zusammenarbeit anstreben. Es gelte, Patient*innen davor zu bewahren, dass sich aus ihrer Post-Covid-Erkrankung ME/CFS entwickelt. Wenn noch kein PEM vorliege, sei es daher wichtig, sechs Wochen lang Belastungen zu vermeiden und in der Psychotherapie Pacing zu thematisieren, also den vorausschauenden und sparsamen Einsatz von Energie. „Energiefresser“ müssten gemeinsam mit den Patient*innen identifiziert werden, um dann einen Strategieplan zu entwickeln, wie das Aktivitätsniveau unter der persönlichen Belastungsgrenze gehalten werden kann. Pacing erfordere viel Selbstbeherrschung, Verzicht und Einschränkung und sei eine enorme psychische Herausforderung, betonte Frau Grande.
 
Aktivierende Therapien führen in der Regel zu einer Symptomverschlechterung und sind daher zu vermeiden, vor allem wenn bereits PEM vorliegt. Dass dann ohnehin andere Regeln gelten, machte ein erschütternder Film deutlich, den Frau Grande einspielte und der den Alltag eines Betroffenen schilderte. Psychotherapie ist in diesen schweren Fällen in der Regel nur per Video möglich und in kleinen Einheiten, etwa 20 Minuten alle zwei Wochen. Bei gleichzeitigem Vorliegen von PEM und psychischer Erkrankung gelte immer „Pacing first“.

Da bei Vorliegen von Post-Covid und ME/CFS eine völlig andere Behandlung als bei anderen Psychotherapiepatient*innen erforderlich sei, sei es von zentraler Bedeutung, die Behandler*innen (aber auch Gutachter *innen und andere Akteur*innen des Gesundheitssystems) gut über das Krankheitsbild aufzuklären. Dazu leiste die Fortbildungsveranstaltung der Landespsychotherapeutenkammer einen wichtigen Beitrag.

Entsprechend positiv fiel das Feedback zur Veranstaltung aus. Die Gelegenheit zu Fragen im Anschluss an den Vortrag wurde von den Teilnehmer*innen rege genutzt. Frau Grande gab viele nützliche Hinweise für Anamnese, Diagnostik und Behandlung und teilte weiterführende Links, die Sie auf den Präsentationsfolien finden können. Die Veranstaltung hat deutlich gemacht, dass Psychotherapie einen wichtigen Beitrag zur Versorgung von Post-Covid- und ME/CFS-Patient*innen leisten kann und hat hoffentlich viele Teilnehmer*innen ermutigt, Betroffenen auf ihrem schwierigen Weg zu begleiten.

  • Die Präsentation der Referentin Bettina Grande finden Sie hier.
  • Den Beitrag "Mehr Psychotherapeuten für Post-Covid-Patienten", der am 31.01.2024 bei SWR Aktuell RLP gesendet wurde und in dem auch LPK-Präsidentin Sabine Maur zu Wort kommt, finden Sie hier.

[Sabine Maur, Petra Regelin und Bettina Grande]

[Bettina Grande bei ihrem Vortrag]

[Daniel Stich]

[Sabine Maur]

[Petra Regelin]

[Filmaufnahmen des SWR]

01.02.2024
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