LPK-Mitglied Egon Halbleib: Psychotherapie mit Menschen in besonders benachteiligten Lebenslagen
Wer krank ist, geht zum Arzt. Das ist für die meisten von uns selbstverständlich. Doch was tut man, wenn man keine Krankenversicherung und womöglich keinen festen Wohnsitz hat? Wohnungslosen, papierlosen, geflohenen und besonders benachteiligten Menschen bietet der gemeinnützige Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland e. V." ärztliche, sozialarbeiterische und psychotherapeutische Hilfe an. Die 1997 von dem Arzt und Sozialarbeiter Prof. Dr. Gerhard Trabert in Mainz gegründete Organisation hat mittlerweile über 50, meist ehrenamtliche Mitarbeiter. Neben dem "Arztmobil", das Menschen dort versorgt, wo sie leben müssen (oft auf der Straße), gibt es heute auf der Zitadelle in Mainz eine feste Ambulanz für Beratung und Behandlung und weitere Projekte.
Als Egon Halbleib, Diplom Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und seit Kammergründung Mitglied der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, ein Radio-Interview mit Gerhard Trabert über "Armut und Gesundheit in Deutschland" hörte, wurde ihm wieder einmal seine privilegierte Situation als Psychologischer Psychotherapeut im Ruhestand bewusst. Er beschloss daraufhin, seine berufliche Expertise ehrenamtlich in den Verein einzubringen. Egon Halbleibs Angebot war neu im Team von "Armut und Gesundheit" und fand schnell Resonanz. Denn wer arm und körperlich krank ist, hat meist auch Probleme im Erleben und Verhalten, erklärt Egon Halbleib.
Seit zwei Jahren bietet er an einem Wochentag psychotherapeutische Beratung auf der Zitadelle an. Hilfreich sind dabei auch Erfahrungen aus seinem ersten Beruf als Sozialarbeiter und aus der therapeutischen Arbeit in der Jugend- und Suchtberatung. Seine Patient*innen sind meist mittleren Alters - anders als in der niedergelassenen Praxis ist die Mehrzahl männlich. Einige von Ihnen haben einen völlig anderen kulturellen Hintergrund; zur sprachlichen und kulturellen Vermittlung werden bei Bedarf ehrenamtliche Übersetzer*innen einbezogen. Viele von Herrn Halbleibs Patient*innen haben Suchtprobleme, aber auch eine Vielzahl anderer psychischer Belastungen und Erkrankungen. Im Mittelpunkt der Therapie stehen Hilfen zur Selbstakzeptanz und zur Ressourcenaktivierung.
"Die meisten Menschen, die ich da erlebe, haben in ihrer Biografie erstaunliche Ressourcen entwickelt, die aber beispielsweise durch Schicksalsschläge, Misserfolge, Trennungen und Sucht nicht mehr weiterverfolgt werden konnten. Als niedergelassene Therapeuten, von unserem geordneten Lebenskontext aus gesehen, machen wir uns oft gar kein Bild, welche Fähigkeiten man braucht und entwickelt, um auf der Straße, in einer Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkunft zu überleben", erläutert Herr Halbleib. Diese Ressourcen seien den Betroffenen aber meist nicht als solche bewusst oder würden von ihnen abgewertet.
Wenn es dann gelingt, bei den Patienten anstelle von Selbst- und Fremdabwertung die Selbstakzeptanz zu verbessern, dann sind Interventionen zum Ressourcentransfer möglich. Sie können häufig den Patient*innen helfen, auch mit den gegenwärtigen Herausforderungen besser fertig zu werden und weitere Schritte einzuleiten. In einigen Fällen werden aus punktuellen Beratungen Kurzzeit-Therapien, manchmal gelingt die Überführung in eine Regelpsychotherapie. "Wir verstehen uns als Starthilfe und Brückenbauer" erklärt Egon Halbleib. "Wir wollen helfen, die Parallelwelt zu überwinden, in der sich viele Betroffene befinden!"
Anfangs habe ihn die geringere Kontinuität in der psychotherapeutischen Beratung irritiert: anders als er es aus seinem Praxisalltag als niedergelassener Psychotherapeut kannte, werden vereinbarte Termine oft nicht eingehalten, da seine Patient*innen meist keinen strukturierten Alltag mehr haben; darüber hinaus sind häufig Geduld und Ausdauer zum Erreichen eines Ziels verloren gegangen. Die Konzeptionalisierung als "Intervalltherapie" wie sie der Suchttherapie praktiziert wird, sei auch hier hilfreich. Sie ermögliche, selbst kleine "Behandlungsschnipsel" später aufzugreifen und in einen erneuten Behandlungskontakt nutzbringend einzubinden.
Von den niedergelassenen Kolleg*innen wünscht sich Herr Halbleib eine größere Aufgeschlossenheit für diese Patient*innengruppe. Kolleg*innen im Ruhestand, die ihre wertvolle Kompetenz nicht ungenutzt lassen wollen, möchte er zum Mitmachen einladen. "Diese Arbeit ist sehr befriedigend und hält lebendig", versichert Herr Halbleib. Nie zuvor habe er in seiner therapeutischen Arbeit so eine Häufung an interessanten Menschen und bewegenden Schicksalen erlebt. "Das erinnert mich an ein Buch der Kollegin Eva Jaeggi über uns Psychotherapeuten", sagt er. "Das trägt den Titel: Wir Menschenbummler. In dieser Kennzeichnung finde ich mich wieder!"
Die LPK RLP dankt Herrn Egon Halbleib herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.
Als Egon Halbleib, Diplom Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und seit Kammergründung Mitglied der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, ein Radio-Interview mit Gerhard Trabert über "Armut und Gesundheit in Deutschland" hörte, wurde ihm wieder einmal seine privilegierte Situation als Psychologischer Psychotherapeut im Ruhestand bewusst. Er beschloss daraufhin, seine berufliche Expertise ehrenamtlich in den Verein einzubringen. Egon Halbleibs Angebot war neu im Team von "Armut und Gesundheit" und fand schnell Resonanz. Denn wer arm und körperlich krank ist, hat meist auch Probleme im Erleben und Verhalten, erklärt Egon Halbleib.
Seit zwei Jahren bietet er an einem Wochentag psychotherapeutische Beratung auf der Zitadelle an. Hilfreich sind dabei auch Erfahrungen aus seinem ersten Beruf als Sozialarbeiter und aus der therapeutischen Arbeit in der Jugend- und Suchtberatung. Seine Patient*innen sind meist mittleren Alters - anders als in der niedergelassenen Praxis ist die Mehrzahl männlich. Einige von Ihnen haben einen völlig anderen kulturellen Hintergrund; zur sprachlichen und kulturellen Vermittlung werden bei Bedarf ehrenamtliche Übersetzer*innen einbezogen. Viele von Herrn Halbleibs Patient*innen haben Suchtprobleme, aber auch eine Vielzahl anderer psychischer Belastungen und Erkrankungen. Im Mittelpunkt der Therapie stehen Hilfen zur Selbstakzeptanz und zur Ressourcenaktivierung.
"Die meisten Menschen, die ich da erlebe, haben in ihrer Biografie erstaunliche Ressourcen entwickelt, die aber beispielsweise durch Schicksalsschläge, Misserfolge, Trennungen und Sucht nicht mehr weiterverfolgt werden konnten. Als niedergelassene Therapeuten, von unserem geordneten Lebenskontext aus gesehen, machen wir uns oft gar kein Bild, welche Fähigkeiten man braucht und entwickelt, um auf der Straße, in einer Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkunft zu überleben", erläutert Herr Halbleib. Diese Ressourcen seien den Betroffenen aber meist nicht als solche bewusst oder würden von ihnen abgewertet.
Wenn es dann gelingt, bei den Patienten anstelle von Selbst- und Fremdabwertung die Selbstakzeptanz zu verbessern, dann sind Interventionen zum Ressourcentransfer möglich. Sie können häufig den Patient*innen helfen, auch mit den gegenwärtigen Herausforderungen besser fertig zu werden und weitere Schritte einzuleiten. In einigen Fällen werden aus punktuellen Beratungen Kurzzeit-Therapien, manchmal gelingt die Überführung in eine Regelpsychotherapie. "Wir verstehen uns als Starthilfe und Brückenbauer" erklärt Egon Halbleib. "Wir wollen helfen, die Parallelwelt zu überwinden, in der sich viele Betroffene befinden!"
Anfangs habe ihn die geringere Kontinuität in der psychotherapeutischen Beratung irritiert: anders als er es aus seinem Praxisalltag als niedergelassener Psychotherapeut kannte, werden vereinbarte Termine oft nicht eingehalten, da seine Patient*innen meist keinen strukturierten Alltag mehr haben; darüber hinaus sind häufig Geduld und Ausdauer zum Erreichen eines Ziels verloren gegangen. Die Konzeptionalisierung als "Intervalltherapie" wie sie der Suchttherapie praktiziert wird, sei auch hier hilfreich. Sie ermögliche, selbst kleine "Behandlungsschnipsel" später aufzugreifen und in einen erneuten Behandlungskontakt nutzbringend einzubinden.
Von den niedergelassenen Kolleg*innen wünscht sich Herr Halbleib eine größere Aufgeschlossenheit für diese Patient*innengruppe. Kolleg*innen im Ruhestand, die ihre wertvolle Kompetenz nicht ungenutzt lassen wollen, möchte er zum Mitmachen einladen. "Diese Arbeit ist sehr befriedigend und hält lebendig", versichert Herr Halbleib. Nie zuvor habe er in seiner therapeutischen Arbeit so eine Häufung an interessanten Menschen und bewegenden Schicksalen erlebt. "Das erinnert mich an ein Buch der Kollegin Eva Jaeggi über uns Psychotherapeuten", sagt er. "Das trägt den Titel: Wir Menschenbummler. In dieser Kennzeichnung finde ich mich wieder!"
Die LPK RLP dankt Herrn Egon Halbleib herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.
16.03.2021