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LPK-Mitglied Daniela Lempertz: Traumatherapie für geflüchtete Kindergartenkinder

Als im Jahr 2015 immer mehr Geflüchtete über die deutschen Grenzen kamen und auch in Rheinland-Pfalz Schutz suchten, überlegte Daniela Lempertz gemeinsam mit Kolleginnen, wie sie als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin helfen könnte. Die Behandlung von Traumafolgestörungen wie beispielsweise Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist einer ihrer Arbeitsschwerpunkte; so dachte sie an die schrecklichen Erfahrungen, die viele der geflohenen Kinder in ihrem Heimatland und auf der Flucht machen mussten. Nicht alle Menschen, die Belastendes erlebt haben, entwickeln eine Traumafolgestörung, betont Frau Lempertz, die die oftmals unsachgemäße und inflationäre Verwendung des Begriffs „Trauma“ kritisiert. Experten schätzen, dass zwischen 25% und 70% der Kinder mit Fluchterfahrung eine PTBS entwickeln. Die Gefahr sei jedoch groß, besonders bei sehr jungen Kindern eine Traumatisierung zu übersehen: „Kinder fühlen mehr, als sie ausdrücken können“, erklärt die Psychotherapeutin. Vor allem bei den Kleinsten, denen es an Sprachkompetenz mangelt, würden Anzeichen für eine Traumatisierung häufig nicht erkannt, sondern beispielsweise als Entwicklungsverzögerung oder als hyperaktives Verhalten gedeutet. Doch eine unbehandelte Traumafolgestörung in der Kindheit kann schwere gesundheitliche Folgen haben: es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Betroffene ein erhöhtes Risiko für psychische und auch körperliche Erkrankungen wie beispielsweise Herzkrankheiten, Bluthochdruck und Diabetes haben, auch die Lebenserwartung ist geringer. „Die Zeit heilt nicht alle Wunden“, betont Frau Lempertz, eine zügige psychotherapeutische Behandlung sei daher ratsam.

In ihrer eigenen Praxis in Neuwied arbeitet die Psychotherapeutin häufig mit der EMDR-Methode, um ihren Patienten zu helfen, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, also Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung. Die zertifizierte EMDR-Therapeutin für Kinder und Jugendliche entwickelte gemeinsam mit zwei Kolleginnen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ein Programm zur traumatherapeutisch-fokussierten Gruppenbehandlung von Kindergartenkindern. Die Behandlung findet dabei hochfrequent, also in zeitlich dichter Abfolge, direkt im Kindergarten statt. Ziel der Therapie ist, bei den Kindern eine zügige Reduktion der aktuellen Belastungen zu erreichen. Bei der Entwicklung des Programms stützte sich Frau Lempertz auf eine Studie von EMDR-Kollegen aus Mexiko, die 1997 erfolgreich durch einen Tsunami traumatisierte Kinder therapiert hatten. Die Psychotherapeutin erstellte ein Manual und ging für die Finanzierung ihrer Behandlungsidee „Türklinken putzen“, wie sie erzählt. Sie stellte ihr Konzept zahlreichen Stellen vor und erhielt schließlich großzügige Unterstützung durch den Kreis Neuwied, den Lions-Club Neuwied-Andernach und dem Fachverband EMDR-Europe.

Als die Finanzierung des Pilotprojektes gesichert war, begann Daniela Lempertz mit der Durchführung des mehrstufigen Programmes: Den Anfang machten Informationsveranstaltungen für ErzieherInnen und IntegrationshelferInnen aus Kindergärten des Kreises Neuwied. Frau Lempertz teilte einen von ihr entwickelten Beobachtungsfragebogen aus, der Auffälligkeiten wie Appetitlosigkeit, Albträume oder das Verlernen von früher bereits beherrschten Fähigkeiten wie Sprechen und Toilettengang erfassen sollte. Anhand dieses Fragebogens konnten die ErzieherInnen eine erste Einschätzung vornehmen, ob Kinder ihrer jeweiligen Gruppen auffälliges Verhalten zeigten. Die Eltern dieser Kinder wurden dann in den Kindergarten eingeladen, wo ihnen die Psychotherapeutin  mit Hilfe von Dolmetschern erklärte, was ein Trauma ausmacht und wie sie den Kindern helfen wollte. Obwohl die Eltern, die überwiegend aus Syrien und Afghanistan stammten, häufig aus ihrer Heimat Psychotherapie nicht kannten, seien sie dem Projekt offen und vertrauensvoll begegnet und waren sehr dankbar für die Hilfe der Psychotherapeutin. Trotz aller kulturellen Unterschiede „waren sie auch einfach Eltern, die sich Sorgen um ihre Kinder machten“, wie Lempertz erzählt.

Im Jahr 2016 konnte die Pretest-Phase mit vier Gruppen aus jeweils vier Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren beginnen. Ein Woche lang besuchte Daniela Lempertz die Kinder eine Stunde lang im Kindergarten. Die Unterstützung der gut ausgebildeten Sprach- und Kulturmittler war für sie dabei sehr wichtig. Mit deren Hilfe konnte Lempertz den Kindern die Geschichte des von ihr mitgebrachten Teddybären erzählen. Der Bär berichtete während der verschiedenen Gruppensitzungen von seinen eigenen Fluchterfahrungen und half den Kindern durch offene Fragen, eigene Erlebnisse ans Licht zu bringen. Im Rahmen der Therapie zeichneten die Kinder Bilder von ihren negativen Erfahrungen. Viele malten Boote, die drohten unterzugehen, oder zeigten Angst vor Hunden, Polizisten oder Soldaten. „Die Folgen des Krieges waren bis an den kleinen Tisch in der Kita zu spüren“, berichtet Lempertz. Immer wieder hätten die Kinder gefragt: „Kommt der Krieg auch hier hin?“ Die Verarbeitung der negativen Emotionen wurde mit schneller bilateraler Stimulation angeregt: die Kinder umarmten sich selbst mit der so genannten Schmetterlingsumarmung (Butterfly Hug) oder klopften mit ihren Händen abwechselnd auf ihre Knie oder einen Tisch. Diese EMDR-Technik unterstützt die Verarbeitung des traumatischen Erlebnisses, so dass es im Alltag nicht mehr so einfach durch Trigger, wie beispielsweise Hundegebell, hervorgerufen werden kann. Die Sitzungen endeten stets mit einem gemeinsamen Bewegungs- und Abschlussspiels, um wieder im positiv besetzen „Hier und Jetzt“ anzukommen, in der sichern Umgebung des Kindergartens.

Es gab drei Testungen in der Pre-Test-Phase, bei denen ErzieherInnen und Eltern befragt wurden: vor dem Projekt, eine Woche nach der Therapie und noch einmal drei Monate später. Die Ergebnisse erstaunten selbst die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Bei vielen Kindern traten deutliche Verbesserungen ein. So ging beispielsweise ein Junge, der Angst vor dem Spielen im Freien hatte, nach der Therapiephase wieder hinaus zum Spielen. Ein Kind, das vorher eingenässt hatte, hörte damit auf und ein Kind, das nicht gesprochen hatte, sprach nach der Therapie wieder. Der Pre-Test habe also deutliche Hinweise gegeben, dass hochfrequente traumaspezifische Psychotherapie zügig Entlastung bringen kann, ohne dass viel Sprache nötig ist, fasst Frau Lempertz zusammen. Seit 2017 läuft nun die eigentliche Pilotstudie, deren weitere Verlauf jedoch aufgrund des Rückganges der Flüchtlingszahlen stagniert. Nun hofft Daniela Lempertz, dass sich weitere interessierte Kindergärten aus dem Kreis melden, damit das Pilotprojekt zu einem guten Ende gebracht und die wissenschaftliche Auswertung durch das Universitätsklinikum Hamburg abgeschlossen werden kann. Falls die Intervention auch aus wissenschaftlicher Sicht als effektiv bewertet wird, hat sie ein hohes Potential, die psychische Gesundheit von traumatisierten Kindergartenkindern zu verbessern. Dann möchte Daniela Lempertz ihre Erfahrungen mit traumatisierten Flüchtlingskindern in Form von Fortbildungen und einem Manual auch für KollegInnen nutzbar machen.

Die LPK RLP dankt Frau Lempertz herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.

Daniela Lempertz

06.11.2018
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