Landespsychotherapeutenkammer RLP gibt Stellungnahme im Landtag ab
Die Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, Sabine Maur, wurde vom Ausschuss für Gesundheit des Landtages Rheinland-Pfalz zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen, um eine Stellungnahme der Kammer abzugeben. Thema war das Management der Corona-Pandemie in Rheinland-Pfalz. Die Anhörung fand am 19. Juni 2024 im Plenarsaal des Landtages statt und wurde am 20. Juni 2024 per Videokonferenz fortgesetzt. Neben der LPK-Präsidentin wurden auch verschiedene andere Repräsentant*innen von Einrichtungen des Gesundheitswesens angehört, unter anderem Prof. Dr. med. Lars Schaade, Präsident des Robert Koch-Instituts in Berlin.
Die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz ist der Auffassung, dass die Landesregierung – und federführend das Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit – das Management der Corona-Pandemie verantwortungsvoll, engagiert und gut bewältigt hat. Im Nachhinein und mit dem Wissen von heute müssen nach Ansicht der Landespsychotherapeutenkammer allerdings die einschränkenden Maßnahmen für Kinder und Jugendliche kritisch bewertet werden. Dies führte die Kammerpräsidentin in ihrer Stellungnahme näher aus.
Eingangs berichtete Frau Maur, es habe aufgrund der Umstellung auf videogestützte Psychotherapie in der Corona-Pandemie keinen bedeutsamen Einbruch der ambulanten Versorgung gegeben. Dieses Beispiel für gelungene Digitalisierung im Gesundheitswesen erleichterte den Zugang zu Psychotherapie und wurde deshalb auch nach der Pandemie beibehalten, vor allem in Form von blended therapy (also einer Kombination aus Präsenz- und Videotherapie). Sie betonte, dass die reine Online-Therapie unter anderem aufgrund fehlender Privatheit eher kritisch zu sehen ist und zudem keine Lösung der Versorgungsprobleme darstellt, da der Zeitaufwand für die Behandlung dem der Therapie in Präsenz entspricht.
Die Lockdown-Maßnahmen seien zwar akut psychisch belastend gewesen, diese Belastungen endeten aber mit Aufhebung des Lockdowns. Während der Pandemie erlebten die Menschen im Durchschnitt mehr Ängste, mehr depressive Symptome und mehr Stress, berichtete Frau Maur. Dies habe sich besonders bei vulnerablen Gruppen niedergeschlagen: bei Jugendlichen, Schwangeren und Menschen mit Neugeborenen sowie Menschen, die wegen Covid-19 stationär behandelt wurden. Nach der Pandemie sei eine Zunahme von Ängsten und depressive Symptomen im Vergleich zum vorpandemischen Zustand zu beobachten.
Dann ging die Kammerpräsidentin gesondert auf Jugendliche ein: Sie seien durch Kontaktbeschränkungen zu Gleichaltrigen und die deutlich erhöhten Anforderungen an die Selbstorganisation (z.B. durch Homeschooling) besonders belastet gewesen. Bei weiblichen Jugendlichen sei vor allem das Risiko von ängstlichen und depressive Symptome erhöht gewesen, bei männlichen Jugendlichen waren vermehrt Konzentrationsprobleme, exzessives Gaming und größere Lebensunzufriedenheit zu beobachten.
Risikofaktoren für schlechtere psychische Gesundheit von Jugendlichen während der Pandemie seien ein niedriger sozioökonomischer Status, Armut, finanzielle Sorgen, beengte Wohnverhältnisse, negative Erfahrungen mit Homeschooling, Probleme der physischen Gesundheit sowie die Diagnose einer neurodiversen Erkrankung (z.B. ADHS, Autismus), psychisch belastete Eltern, familiäre Instabilität, dysfunktionales Erziehungsverhalten, hoher Medienkonsum, wenig Sport und schlechte Schlafgewohnheiten gewesen.
Im Nachhinein seien daher die Notwendigkeit von Beschränkungen der Sozialkontakten und Hobbies, die Kindern und Jugendlichen auferlegt wurden, kritisch zu sehen. Für zukünftige vergleichbare Situationen seien außerdem Verbesserungen bezüglich der Hygienemaßnahmen in Schulen und der Struktur und Qualität von Homeschooling wünschenswert, sagte Frau Maur vor dem Ausschuss. Wichtig sei vor allem die Aufrechterhaltung von Jugendhilfe, Schulsozialarbeit, psychosozialer Unterstützung sowie Freizeit- und Vereinsangeboten. Risikofamilien sollten besonders und gezielt unterstützt werden.
Bedeutsam sei darüber hinaus, psychologische und psychotherapeutische Expertise in Entscheidungsgremien und Kommunikation mit einzubeziehen – wie es in Rheinland-Pfalz auch schon praktiziert wurde. So wurde die Kammer in das „Corona-Bündnis” der Landesregierung berufen, Kammerpräsidentin Sabine Maur sprach im Rahmen der Expert*innen-Anhörung vor der Enquete-Kommission "Corona-Pandemie" des Landtags und gab dort Auskunft über die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen der Menschen sowie die psychotherapeutische Versorgung in Rheinland-Pfalz. Zudem ist die Landespsychotherapeutenkammer Mitglied des Runden Tisches „Post-Covid“ der Landesregierung.
Die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz hat bereits früh darauf hingewiesen, dass Post-Covid ein wichtiges Thema für die psychotherapeutische Versorgung nach der Pandemie werden wird und bereits mehrere Veranstaltungen für die Kammermitglieder zu diesem Thema organisiert. Eine weitere interdisziplinäre Fortbildungsveranstaltung ist in Planung. Nicht selten geht eine Post-Covid-Erkrankung, insbesondere schwere Verläufe mit ME/CFS, mit einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit einher. Zudem kann eine Post-Covid-Erkrankung schon vorab bestehende psychische Erkrankungen verschlimmern oder erneut aufkommen lassen. Frau Maur betonte in der Anhörung, dass es sich jedoch bei Post-Covid selbst nicht um eine psychische Krankheit handelt und warnte davor, zu psychologisieren - also die Symptome als rein psychisches Problem der Patient*innen einzuordnen. Die Grunderkrankung ist neuroimmunologischer Natur, psychische Erkrankungen können dann als Folge der Beeinträchtigung auftreten.
Die LPK-Präsidentin berichtete, dass die Kammer den fünf Post-Covid-Ambulanzen in Rheinland-Pfalz eine Liste mit ca. 50 Psychotherapeut*innen zur Verfügung gestellt hat, die bereit sind, zeitnah psychotherapeutische Sprechstunden für Betroffene zu ermöglichen. Sie machte dabei deutlich, dass die Corona-Pandemie und ihre Folgen sowie weitere Krisen den Bedarf an Psychotherapie erhöht haben und die ambulante psychotherapeutische Versorgung dringend ausgebaut werden muss, um die langen Wartezeiten zu reduzieren.