Jahresempfang der Wirtschaft 2014
Beitrag der LPK RLP am 14.02.2014 - Mainzer Allgemeine Zeitung
Ein langes Arbeitsleben in Zufriedenheit – geht das eigentlich?Diese Zahlen müssten uns aufschrecken: Rund 75.000 Versicherte bezogen 2012 erstmals eine Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund psychischer Erkrankungen. Diese Menschen sind durchschnittlich erst 49 Jahre alt. 42 % aller Frührenten sind inzwischen psychisch verursacht. Psychische Erkrankungen sind seit mehr als zehn Jahren die Hauptursache für gesundheitsbedingte Frührenten – mit großem Abstand vor körperlichen Erkrankungen. Gleichzeitig hat sich der Anteil der betrieblichen Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen fast verdoppelt (plus 96 Prozent). Inzwischen gehen knapp 14 Prozent aller betrieblichen Fehltage auf psychische Erkrankungen zurück.
Dass psychische Erkrankungen so häufig und so früh zu Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit führen, liegt auch daran, dass Menschen, die dringend und schnell eine psychotherapeutische Behandlung bräuchten, in Deutschland aufgrund unzureichender Versorgungskapazitäten rund drei Monate auf einen ersten Termin in einer psychotherapeutischen Praxis warten müssen. Deshalb geben Viele bei der Suche nach einem Behandlungsplatz auf und bleiben unbehandelt. Macht Arbeit uns krank?
Wenn man sich auf die Suche nach den Ursachen psychischer Erkrankungen begibt, kommt man zu dem Schluss, dass viele Ursachen eine Rolle spielen. Neben biologischer Veranlagung und persönlichen Merkmalen und Erfahrungen gehören hierzu auch gesellschaftliche Faktoren. Eine Ursache können auch psychische Belastungen durch die Arbeitswelt sein. Viele Arbeitnehmer fühlen sich durch immer längere Arbeitswege, ständige Erreichbarkeit und Überstunden überlastet. Inzwischen hat fast jeder zweite Beschäftigte mit seinem Arbeitgeber eine Absprache, außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein. Mehr als jeder Dritte hat dienstliche Anrufe oder Emails auch außerhalb der Arbeitszeit erhalten. Diese Arbeitnehmer berichten häufiger als andere über psychische Beschwerden wie Erschöpfung, Niedergeschlagenheit oder Kopfschmerzen. Pendler mit großen Strecken zwischen Wohnort und Arbeitsplatz haben ein deutlich höheres Risiko, psychische Symptome zu entwickeln. „Diese Faktoren wirken jedoch nur dann krankmachend auf Arbeitnehmer, wenn sie das Gefühl haben, ihr Arbeitsumfeld nicht selbst gestalten, steuern und kontrollieren zu können sondern wenn sie sich Veränderungsprozessen hilflos ausgeliefert fühlen“, sagt Alfred Kappauf, Präsident der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Flexible Arbeitswelten bieten also Chancen, wenn die Akteure ein hohes Maß an autonomer Kontrolle behalten. Wenn das nicht der Fall ist, werden die Grenzen der psychischen Belastbarkeit häufig überschritten. Besonders gesundheitsgefährdend für Arbeitnehmer sind innerbetriebliche Veränderungen, die den Arbeitnehmern gegenüber nicht transparent gemacht werden und deren Zielsetzung für den Arbeitnehmer nicht klar erkennbar ist. Veränderungen, die als bedrohlich erlebt werden, lösen Stress aus.
Lange Arbeiten und dabei zufrieden bleiben Gisela Borgmann-Schäfer ist Psychologische Psychotherapeutin in Mainz und Vorstandsmitglied der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Sie hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir unsere Arbeitswelt gestalten müssen, um auch im höheren Alter zufrieden und bei psychischer Gesundheit arbeiten zu können. „Für eine gute Arbeitsfähigkeit ist es wichtig, dass die eigene Einstellung und die Motivation im Einklang mit der Arbeit sind. Wir müssen erleben, dass unsere Arbeit Sinn macht und wir Respekt und Anerkennung erfahren, während wir arbeiten“, so Borgmann-Schäfer. „Die Arbeitsanforderungen und die individuellen Ressourcen der Arbeitnehmer müssen zusammenpassen. Dann können wir auch im höheren Alter noch arbeiten und dabei gesund bleiben.“ Besonders wichtig ist es auch, dass ein Arbeitsklima herrscht, in dem über Belastungen offen gesprochen werden darf. Krankmachend ist, wenn gefährdete Arbeitnehmer keinen Weg finden, über psychische Belastungen durch die Arbeit offen zu sprechen. Es darf nicht sein, dass in Betrieben die Meinung herrscht: „Wer ein Problem hat, ist das Problem!“ Wer sich überfordert fühlt, gibt sich häufig selbst die Schuld oder fällt in anklagendes Opfererleben. Für die Erhaltung der seelischen Gesundheit am Arbeitsplatz ist eine Schuldklärung selten zielführend, es erfordert eine Problemlösungsorientierung und betrifft vor allem die Führungsaufgaben. Dazu müssen die Führungskräfte entsprechend sensibilisiert, motiviert und geschult werden. Ansprechpartner:
Gisela Borgmann-Schäfer
Vorstand Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz
Wilhelm-Theodor-Römheld-Str. 30
55130 Mainz
25.02.2014