Auch Psychotherapie hat Nebenwirkungen
Das dritte Webseminar aus der Veranstaltungsreihe „Berufsethischer Diskurs: Politik, Gesellschaft und Psychotherapie“ am 23. Mai 2023 nahm sogenannte „unerwünschte Ereignisse“ in Psychotherapien in den Fokus: Thematisiert wurden sowohl Nebenwirkungen bei einer Behandlung lege artis, als auch die Auswirkungen unethischen Verhaltens der behandelnden Psychotherapeut*innen in Form von verschiedenen Ausprägungen der Grenz- und Abstinenzverletzungen bis hin zur sexuellen Grenzüberschreitung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Kammerpräsidentin Sabine Maur.
Vor rund 70 Teilnehmer*innen referierte Prof. Dr. Yvonne Nestoriuc (Psychologische Psychotherapeutin, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg) zum Thema „Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie: Hilfreiche Information oder unnötige Abschreckung?“ Dr. med. Andrea Schleu (Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin und Innere Medizin, Beraterin und Vorsitzende des Ethikverein e.V.) sprach über "Nebenwirkungen und Grenzverletzungen in der Psychotherapie - gesellschaftliche Verantwortung von Psychotherapeut*innen". Dr. Cornelia Caspari (Psychologische Psychotherapeutin mit eigener Niederlassung) und Dr. Peter Caspari (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Praxisforschung und Projektberatung IPP) stellten eine Aufarbeitungsstudie über einen besonders gravierenden Fall von sexualisierter Grenzverletzung an einem psychotherapeutischen Ausbildungsinstitut vor.
In der anschließenden Diskussion wurde betont, dass nur 1-2% der Psychotherapien fehlerhaft oder sogar missbräuchlich verlaufen, der Großteil der Patient*innen jedoch von der Behandlung profitiert. Dennoch sei es wichtig, nicht die Augen vor dem Problem zu verschließen und Aussagen von betroffenen Patient*innen Glauben zu schenken. Leider werde deren Glaubwürdigkeit allerdings nicht selten vor Gericht aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in Zweifel gezogen. Teilweise würden Patient*innen durch grenzverletzendes Verhalten der Behandler*innen manipuliert, so dass es wichtig sei, Betroffenen Orientierungshilfen zu geben. Sinnvoll sei beispielsweise, per Aushang in der Praxis über die Aufsichtsbehörde und andere Anlaufstellen für Patient*innen zu informieren. Es wurde gefordert, der Fehlerkultur einen größeren Stellenwert in der Ausbildung einzuräumen. Außerdem sei zentral, über mögliche Nebenwirkungen von Psychotherapie - wie beispielsweise eine anfängliche Symptomverschlechterung - zu Beginn der Behandlung aufzuklären. Es müsse einen Austausch zwischen der therapeutischen Seite und dem Erleben von Nebenwirkungen durch die Patient*innen geben.
Abschließend wies LPK-Präsidentin Sabine Maur auf die Aktivitäten der Landespsychotherapeutenkammer auf dem Themenfeld „Nebenwirkungen und Grenzverletzung“ hin: Die Kammer setzt sich dafür ein, diese Themen in der Ausbildung und in der neuen Weiterbildung viel stärker zu verankern. Zudem bietet die LPK RLP pro Jahr mehrere Fortbildungen zum Thema Berufsrecht und -ethik an, die sehr gut angenommen werden. Die LPK-Juristinnen stehen den Kammermitgliedern darüber hinaus zur berufsrechtlichen Beratung telefonisch zur Verfügung. All dies soll ebenso wie diese Veranstaltung dazu beitragen, das Bewusstsein für „unerwünschte Ereignisse“ in der Psychotherapie zu schärfen und ihr Auftreten zu minimieren.