Was tun bei Stalking und anderen Grenzverletzungen?
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 23.200 Fälle von Stalking registriert, hinzu kommt wohl eine hohe Dunkelziffer. Die Zahl der registrierten Fälle stieg das vierte Jahr in Folge und auf den höchsten Stand seit 2013. Auch Psychotherapeut*innen können Opfer von Stalking, beispielsweise durch Patient*innen, werden. Neben dieser mehr als deutlichen Grenzverletzung berichten Kammermitglieder auch über andere Formen von bewussten und unbewussten Grenzüberschreitungen, beispielsweise verbale und körperliche Übergriffe, Drohungen oder private Kontaktaufnahmen.
Wie sollen Psychotherapeut*innen damit umgehen und in welchem rechtlichen Rahmen bewegen Sie sich? Zu diesem Thema veranstaltete die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz am 5. November 2024 eine digitale Veranstaltung mit dem Titel „Selbstschutz in der Psychotherapie: Was tun bei Grenzüberschreitungen von Patient*innen?“, die von Vorstandsmitglied Ulrich Bestle fachlich begleitet wurde.
Die Kammerjuristinnen Saskia Kollarich und Tamina Bührer erläuterten den rund 100 Teilnehmer*innen die rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen Grenzverletzungen zu wehren und gleichzeitig berufsrechtskonform zu agieren. So thematisierten sie beispielsweise die Sorgfaltspflichten sowie die Frage, in welchen Fällen die Schweigepflicht gebrochen werden darf, um sich Hilfe bei Grenzverletzungen zu suchen. Laut Berufsordnung ist ein Bruch der Schweigepflicht unter bestimmten Voraussetzungen möglich, um eigene Rechte zu schützen. Zudem sieht das Strafgesetzbuch ein Recht auf Notwehr in Bedrohungssituationen vor. Wichtig sei, die Abwägung zwischen dem Interesse auf Geheimhaltung des/der Patient*in und dem Schutz anderer Rechtsgüter gut zu dokumentieren, betonten die Juristinnen. Wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Patient*innen und Behandler*in nicht (wieder-)herstellbar ist, sieht die Berufsordnung die Beendigung der Therapie als geboten. Die Referent*innen ermutigten Betroffene außerdem dazu, sich Hilfe zu suchen, beispielsweise indem man sich Kolleg*innen offenbart, sich an die juristische Beratung der Landespsychotherapeutenkammer wendet oder im Zweifelsfall die Polizei ruft.
Michael Bendix-Kaden vom WEISSEN RING informierte in seinem Vortrag über Stalking. Dabei erläuterte er verschiedene Formen des Stalkings und stellte eine Typologie der Täter sowie ihre Motive vor. Außerdem machte er auf mögliche Warnsignale und Risikofaktoren aufmerksam. Auch Herr Bendix-Kaden betonte die große Bedeutung von guter Dokumentation, außerdem von Beachtung des Abstinenzgebotes im Vorfeld sowie transparentem und konsequentem Handeln in Bezug auf grenzüberschreitendes Verhalten von Patient*innen.
Wichtig sei es zudem, präventive Maßnahmen im Praxis-, Klinik- und Arbeitsalltag zu entwickeln und zu implementieren, etwa Notfallpläne, Alarmierungssysteme und Deeskalationsschulungen. Auch Super- und Intervision, kollegiale Fallberatung und Netzwerkarbeit können Betroffene stärken und dazu beitragen, Gefahrensituationen zu vermeiden. Da darüber hinaus das Wissen um geeignete Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten zentral ist, stellte Herr Bendix-Kaden die wichtigsten Anlaufstellen vor, neben der Polizei beispielsweise den Weissen Ring, das Familien- bzw. Betreuungsgericht und die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW).
Anschließend beantwortete der Referent noch einige Fragen der Teilnehmer*innen und bot an, auch im Nachgang noch für Fragen per E-Mail zur Verfügung zu stehen. Insgesamt hat die Veranstaltung dazu motiviert, die Rahmenbedingungen des psychotherapeutischen Arbeitsalltags auf Sicherheitsaspekte hin zu prüfen und sensibler für Gefährdungspotential zu sein – zugleich sollten aber auch keine unnötigen Ängste die Freude am Beruf trüben, resümierte Herr Bestle.