Straftaten in der Psychotherapie thematisieren?
Rund 6 Millionen Straftaten werden pro Jahr in Deutschland angezeigt, hinzu kommt eine große Dunkelziffer von Fällen. Auch unter Patient*innen in Psychotherapiepraxen sind also Menschen, die straffällig geworden sind oder bei denen zu befürchten ist, dass sie eine Straftat begehen werden („Tatgeneigte“). Teilweise kommen auch bereits verurteilte Täter*innen auf gerichtliche Weisung in die Therapie. Wie sollen Psychotherapeut*innen damit umgehen und wie soll die Delinquenz in der Therapie thematisiert werden? Diesen Fragen hat die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz am 9. April 2024 ein Webinar gewidmet. Moderiert und fachlich begleitet wurde die Veranstaltung „Delinquenz zum Thema machen!? Wenn (potenzielle) Täter*innen auch Patient*innen sind“, zu der sich rund 50 Teilnehmer*innen angemeldet hatten, von Dr. Andrea Benecke, Vizepräsidentin der LPK RLP und Präsidentin der BPtK.
Diplom-Psychologe Michael Ruch (Kriminologe, Psychologischer Psychotherapeut und Sexualtherapeut) gab in seinem Vortrag einen Überblick über bestehende Behandlungsstrukturen, Möglichkeiten der Intervention und allgemeine Prinzipien der deliktorientierten Therapie. Herr Ruch ist Vorstandsbeauftragter für den Bereich Forensik der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz und Mitglied der rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugskommission. Er berichtete, dass kriminelles Verhalten fast immer verschwiegen und fast nie erfragt würde und daher in der Regel kein Thema in der regulären Psychotherapie sei. Kriminelles Verhalten sei aber veränderbar, betonte er. Durch Psychotherapie könne die Rückfälligkeit beispielsweise bei Sexualstraftätern um 10-25% gesenkt werden. „Wunder sind nicht zu erwarten“, so Ruch, doch jeder positive Behandlungseffekt reduziere Opferzahlen. In der Psychotherapie rund um Straftaten sei die Deliktorientierung eine Grundhaltung und keine Interventionstechnik. Die mit Rückfallrisiko assoziierten Faktoren sollten zugleich die therapeutischen Schwerpunkte darstellen. Vor allem im Kontext schwerer Straftaten, mit der Wahrscheinlichkeit schwerer Rückfälle, sollten Therapeut*innen mit Konzepten der Risikoprognose und den spezifischen relevanten Störungsbildern vertraut sein, betonte der Referent.
Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortetet Herr Ruch zahlreiche Fragen, bevor die Kammerjuristin Saskia Kollarich noch einen kurzen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen gab. Außerdem erläuterte sie, was Psychotherapeut*innen beachten sollten, wenn sie als Zeug*in vor Gericht geladen werden und gab wichtige praktische Tipps.
Das Feedback der Teilnehmer*innen auf die Veranstaltung fiel sehr positiv aus.