Prof. Dr. Julia Glombiewski: Psychotherapieforschung gegen den Schmerz
In Deutschland leiden über 15% der Bevölkerung an chronischen Rückenschmerzen. Mit chronischen Schmerzen gehen nicht selten gedrückte Stimmung, Schlafstörungen oder Ängste einher, mache Patient*innen entwickeln komorbide Depressionen. Psychotherapie kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Bewältigungsstrategien zu entwickeln, Schmerzen zu lindern und den Patient*innen wieder eine aktive Teilnahme am Leben zu ermöglichen. „Psychotherapie ist definitiv das richtige Werkzeug, aber noch recht ausbaufähig“, sagt LPK-Mitglied Prof. Dr. Julia Glombiewski, seit 2017 Inhaberin des Lehrstuhls für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU). Die auf chronische Schmerzen spezialisierte Verhaltenstherapeutin ist Leiterin der „EFFECT-Back“-Studie. Diese große Studie soll Antworten auf die Frage liefern, welche Psychotherapeutischen Behandlungsmethode für welche Rückenschmerz-Patient*innen am besten geeignet ist.
Das Thema Schmerz fasziniert Frau Glombiewski schon lange. Bereits im Grundstudium in Marburg wollte sie gerne später in der Forschung tätig werden, erzählt sie im Gespräch mit der Landespsychotherapeutenkammer. Ein Praktikum in einer Rehaklinik für Schmerzpatient*innen wies Frau Glombiewski dann den Weg in die Klinische Psychologie. Die Arbeit mit Patient*innen gefiel ihr, die Verzahnung von Psychologie und Medizin fand sie sehr spannend. Die Komplexität des Themas fasziniert Glombiewski bis heute: Viele gesellschaftliche und gesundheitspolitische Aspekte Effekte müssten mitgedacht werden, um den Patient*innen bestmöglich zu helfen, erklärt sie. Auch Kommunikation sei enorm wichtig: zum einen der interdisziplinärer Austausch, zum anderen die Kommunikation der Akteur*innen des Gesundheitswesens mit den Patient*innen.
Julia Glombiewskis Diplomarbeit war die erste Evaluation der während ihres Studiums neugegründeten Hochschulambulanz. Frau Glombiewski befragte Therapie-Abbrecher*innen und erfolgreich therapierte Patient*innen in strukturierten Interviews und wollte so der Frage auf den Grund gehen: Warum ist Psychotherapie bei manchen erfolgreich und bei manchen nicht? Wie kann man es schaffen, dass mehr Patient*innen von einer psychotherapeutischen Behandlung profitieren?
Auf diesen Fragen baute auch Glombiewski Promotion auf, bei der sie verschiedenen kognitive Verhaltenstherapien gegen chronische Schmerzen verglich. Die „klassische Trias der Schmerztherapie“ ist ein Zusammenspiel aus Aktivitätenaufbau, kognitiver Therapie (hier geht unter anderem darum, ein biopsychosoziales Störungsmodell zu vermitteln, schmerzfördernde Gedanken zu verändern und die Aufmerksamkeit umzulenken) und dem Vermitteln von Entspannungstechniken, erklärt Julia Glombiewski. Ihre Forschungsergebnisse zeigten ihr, dass insbesondere der Aktivitätenaufbau verbessert werden müsste, um den Patient*innen effektiver helfen zu können.
In Folge dessen wand sich Julia Glombiewski der Expositionstherapie zu: Patient*innen, die aus Furcht vor Schmerzen Bewegung vermeiden, sollen in der Psychotherapie diese erhöhte Angst vor Bewegung herausarbeiten und dann gezielt gemeinsam mit der Psychotherapeutin/dem Psychotherapeuten angstbesetzte Aktivitäten ausführen – natürlich nur, wenn aus medizinischer Sicht nichts dagegenspricht. Diese „beherzte Aktivierung“ könne beispielsweise beim gemeinsamen Federballspiel oder beim Bowling mit der/dem Psychotherapeut*in erfolgen, aber auch beim gemeinsamen Löcher graben, erläutert Frau Glombiewski. Anders als bei anderen Therapiemethoden wird nicht nur ein Plan zur Aktivierung aufgestellt, sondern die Aktivitäten gemeinsam im Rahmen der Therapie durchgeführt.
In der umfangreichen, DFG-Geförderten EFFECT-Back-Studie unter Glombiewskis Leitung werden nun die Wirksamkeit von Kognitiver Verhaltenstherapie und Expositionstherapie in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen miteinander verglichen. An fünf Standorten in Deutschland (Universitätsambulanzen in Landau, Marburg, Mainz sowie die Universitätskliniken Essen und Heidelberg) werden im Rahmen der Studie rund 400 Personen mit chronischen Rückenschmerzen behandelt. Die Teilnehmer*innen werden zufällig zu einer der Behandlungsformen zugelost und erhalten dann zwölf Sitzungen in der jeweiligen Behandlungsform. An drei Messzeitpunkten (vor, direkt nach und sechs Monate nach der Behandlung) werden die Patient*innen eingeladen, um Therapieeffekte evaluieren zu können.
Die Studie baut auf einer kleineren Vorstudie mit 80 Teilnehmer*innen auf, die bereits deutlich machte, dass beide Therapierichtungen ihre eigenen Vorteile mit sich bringen. Es konnte gezeigt werden, dass von der Expositionstherapie auch Patient*innen profitieren, die gar keine übersteigerte Angst vor Bewegung haben. Ziel der großen Studie ist es nun, besser zu verstehen, welche Methode wem hilft, um Behandlungsangebote für Schmerzpatient*innen zu optimieren und zu individualisieren. „Wir erhoffen uns Erkenntnisse darüber, welche Therapieform man zukünftig am besten welchen Patient*innen anbietet“, so Glombiewski. Darüber hinaus könnte durch die Studie die noch nicht so verbreitete Expositionstherapie als wirksame und wirtschaftliche Behandlungsoption im ambulanten Gesundheitssystem stärker in den Fokus der Behandlung rücken.
Sie geht davon aus, dass die Ergebnisse der Studie nicht nur für Rückenschmerzpatient*innen genutzt werden können, sondern teilweise auch auf andere Schmerzpatient*innen übertragbar sind. Die Studie läuft insgesamt drei Jahre und befindet sich jetzt im letzten Drittel. Später würde die Professorin gern eine Implementationsstudie anschließen, um zu untersuchen wie die Erkenntnisse aus der Forschung am besten in die Versorgung überführt werden.
Schon jetzt konnte vielen Patient*innen durch die Behandlung im Rahmen von EFFECT-Back geholfen werden. Außerdem zeigt sich ein Effekt der Studie, über den sich Julia Glombiewski besonders freut: Es seien über 50 Psychotherapeut*innen und PIA für die Studie tätig, die dadurch motiviert würden, auch weiterhin in der Versorgung von Schmerzpatient*innen tätig zu sein – und dort wird psychotherapeutische Expertise dringend gebraucht.
Die LPK RLP dankt Prof. Dr. Julia Glombiewski herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.