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Mehr Sensibilität für Diskriminierung notwendig

„Wie divers ist Psychotherapie?“ Dieser Frage ging die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz am 12. April 2023 im Rahmen eines Webseminars nach und beleuchtete dabei vor allem die Schwerpunkte Rassismus, Klassismus und LGBTQ*. Die Veranstaltung war der zweite Teil der Veranstaltungsreihe zum Berufsethischen Diskurs, die sich den Zusammenhängen von Politik, Gesellschaft und Psychotherapie widmet. [Einen Flyer zur Veranstaltungsreihe finden Sie hier.]

Kammerpräsidentin Sabine Maur, die die Veranstaltung moderierte, machte eingangs deutlich, dass der Berufsstand der Psychotherapeut*innen selbst wenig divers ist: Um bis zur Approbation zu gelangen sind gewisse Ressourcen nötig, so dass Psychotherapeut*innen in der Regel der privilegierten bürgerlichen Mittelschicht angehören Dies hat Konsequenzen für die psychotherapeutische Behandlung von Minderheiten, die nicht immer mitgedacht werden. Zu den Impulsvorträgen überleitend spitzte Frau Maur den Diskurs mit folgenden Fragen zu: Verhalten sich Psychotherapeut*innen trotz Professionalität und Empathie manchmal unbewusst rassistisch, querfeindlich oder unreflektiert privilegiert? Ist Psychotherapie nur etwas für Menschen, die über die nötigen Ressourcen verfügen, sich einen Therapieplatz zu erkämpfen - werden bestimmte Menschen mit psychischen Erkrankungen also gar nicht erreicht? Was ist nötig, damit besondere Erfahrungen von diskriminierten Minderheiten in der Therapie einen angemessenen Stellenwert erhalten?

Input zu diesen Fragen kam von drei Referent*innen. Den ersten Vortrag hielt PD Dr. Ulrike von Lersner, Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis mit dem Schwerpunkt Transkulturelle Psychotherapie, Dozentin, Supervisorin in der Ausbildung von Psychotherapeut*innen und Lehrbeauftragte als Privatdozentin an der HU Berlin. Sie konstatierte, dass Vorurteile und Alltagsrassismus unter Psychotherapeut*innen bislang wenig reflektiert werden, was in diskriminierendem Verhalten gegenüber Patient*innen resultieren kann. Teilweise sei eine unzureichende Offenheit gegenüber den Diskriminierungserfahrungen von Patient*innen zu erkennen. Wichtig sei daher eine Schulung des rassismuskritischen Denkens. Zudem müsste am Abbau von Zugangsbarrieren zu Psychotherapie für kulturelle Minderheiten gearbeitet werden und die Sensibilisierung für Diskriminierung in den Curricula von Aus- und Weiterbildung verankert werden.

Die zweite Referentin Prof. Dr. Aleksa Kaurin (Psychologische Psychotherapeutin, Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und Leiterin der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche an der Bergischen Universität Wuppertal) ging in ihrem Vortrag der Frage nach, ob Psychotherapie ein Privileg ist und erläuterte die Voraussetzungen für Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen mit Diskriminierungserfahrungen. Sie machte deutlich, dass viele Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche mit Diskriminierungserfahrung langfristig ein erhöhtes Risiko aufweisen, an einer psychischen Störung zu erkranken. Frau Kaurin gab in ihrem Vortrag Empfehlungen für Gespräche über Diskriminierung mit Kindern und Jugendlichen und betonte, dass es nicht ausreiche, emphatisch zu sein und sich nicht angegriffen zu fühlen. Nötig sei vielmehr eine tiefere Reflexion der eigenen sozialen Positionierung und der Auswirkungen der Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus.

Im letzten Impulsvortrag „Queere Perspektiven in der Psychotherapie - ein Muss!“ widmete sich Ulrich Bestle (Psychologischer Psychotherapeut, Vorstandsmitglied der LPK RLP, stellvertretender Leiter der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz, dort Leiter des transkulturellen Behandlungsschwerpunktes, Dozent und Supervisor) dem Thema LGBTQ*. Auch in dieser häufig diskriminierten Gruppe sind eine erhöhte Vulnerabilität und in der Folge mehr psychische Erkrankungen, mehr Suizidalität und mehr Depressivität belegt. Herr Bestle führte aus, dass für einen angemessenen psychotherapeutischen Umgang mit dem Thema eine Sensibilisierung für spezifische Bedürfnisse queerer Personen nötig sei, das Vertiefen von Kenntnissen über queerspezifische Themen wie beispielsweise den Coming-Out-Prozess, familiäre Konflikte und die Auswirkungen von Stigma und Diskriminierung sowie ein queersensibler Sprachgebrauch, mehr Sicherheit und Professionalität sowie Kenntnisse über verfügbare Angebote und Netzwerke. Positiv hob er hervor, dass die Berücksichtigung menschlicher Diversität Eingang in die neue Musterweiterbildungsordnung gefunden hat. Ziel müsse sein, in der Weiterbildung vertiefte Faktenkenntnisse und Handlungskompetenz in Bezug auf Gender, Ethnie/Kultur, sexuelle Orientierung und daraus evtl. resultierende Beeinträchtigungen und Diskriminierungen zu erwerben.

Die Veranstaltung wurde durch eine abschließende Diskussion unter den Referent*innen abgerundet, bei der auch die Teilnehmer*innen die Möglichkeit hatten, Fragen zu stellen.

Die nächste Veranstaltung aus der Reihe „Berufsethischer Diskurs“ ist für den 23. Mai geplant und wird sich dem Thema „Grenzverletzungen in der Psychotherapie“ widmen. Sie erhalten bald nähere Informationen und die Möglichkeit, sich anzumelden.

[von links oben im Uhrzeigersinn: Sabine Maur, Ulrich Bestle, Prof Dr. Aleksa Kaurin, PD Dr. Ulrike von Lersner]

13.04.2023
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