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LPK-Mitglied Prof. Dr. Elena von Wirth: Psychotherapieforschung mit Schwerpunkt ADHS

Welche psychotherapeutische Intervention ist die beste für welches Kind? Wie kann jungen Menschen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) am besten geholfen werden? Wie lassen sich ungünstige Therapieverläufe und Therapieabbrüche vermeiden? Diese Fragen gehören zu den Forschungsschwerpunkten von Kammermitglied Prof. Dr. Elena von Wirth und ihrem Team.

Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin ist seit April 2024 Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Universität Trier. Ihr Fokus bei der Psychotherapieforschung liegt auf externalen Störungen (insbesondere ADHS).  Für diese Zielgruppe soll an ihrem Lehrstuhl die Wirksamkeit eines Stepped-Care-Ansatzes, bei dem betroffenen Familien eine stufenweise intensive Behandlung angeboten wird, genauer beforscht werden. Aber auch für Kinder und Jugendliche mit anderen Symptomen möchte sie herausfinden, wie die vorhandenen Behandlungsangebote verbessert werden können. Hierzu untersucht sie mit ihrem Team Risikofaktoren für unerwünschte Behandlungseffekte und prüft, wie diese reduziert werden können. Dabei geht es auch um die Fragen, wie ungünstige Behandlungsverläufe bereits zu einem frühen Zeitpunkt zuverlässig erkannt werden können und welche Fertigkeiten Therapeut*innen benötigen, um angemessen auf diese Entwicklungreagieren zu können.   

Mit psychologischen Fragestellungen wurde Elena von Wirth das erste Mal im Austauschjahr in den USA konfrontiert: Dort stand Psychologie als Schulfach auf dem Stundenplan. „Zu erfahren, mit welchen empirischen Methoden das Denken und Lernen von Menschen untersucht wird, hat mich fasziniert, darüber wollte ich mehr wissen.“, erzählt sie. So entschied sie sich nach der Schule für ein Psychologiestudium, bei dem sie sich auf die klinische Entwicklungspsychologie spezialisierte.

Schon bald begeisterte sie sich für die Forschung: Beobachtungen anzustellen, sich in die Fachliteratur einzulesen, zu verstehen mit welchen Methoden psychologische Konstrukte und Entwicklungsprozesse untersucht werden können, zu erkennen wo Wissenslücken bestehen und daraufhin ein Forschungsprojekt zu planen und durchzuführen, mache ihr großen Spaß, erzählt sie im Interview. „Außerdem bin ich jemand, der gerne Daten auswertet. Ich will wissen: Wie hängen diese vielen Zahlen zusammen, welches Muster steckt dahinter, welche Schlussfolgerungen lassen sich für die Praxis ziehen?“ An das Studium schloss Frau von Wirth daher eine Promotion an der LMU München an, in der sie sich mit der Lese-Rechtschreibstörung beschäftigte – eine von der WHO anerkannte Gesundheitsstörung, deren Behandlung dennoch nicht von den Krankenkassen übernommen wird, wie sie berichtet. Auch wenn Psychotherapeut*innen die Lernstörungen selbst nicht behandeln, sei es sehr wichtig für die therapeutische Arbeit, zu wissen, ob eine solche vorliegt. Nicht selten führen Lernstörungen zu Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Problemen wie Ängsten und depressiven Symptomen. Zudem treten Lernstörungen „überzufällig häufig“ zusammen mit einer ADHS auf.

Schwerpunkt ADHS
Mit dieser Erkrankung beschäftigt sich Frau von Wirt seit ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin am Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Uniklinik Köln (AkiP). In der Post-Doc-Phase absolvierte sie dort ihre Ausbildung mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt und erhielt 2019 die Approbation. Anschließend war sie drei Jahre lang als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Pulheim (Rhein-Erft-Kreis) tätig. Die klinische Erfahrung sei für ihre Forschungstätigkeit sehr wichtig, da sie helfe zu erkennen, welche Forschungsfragen für die Praxis relevant sind, erläutert sie.

Frau von Wirth war an mehreren Therapiestudien zu ADHS beteiligt. In der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie „ESCAlife“ (Evidence-based, Stepped Care of ADHD along the life-span) wurden in verschiedenen Teilprojekten stufenweise intensive und adaptive Behandlungen für unterschiedliche Altersstufen untersucht. Die angebotene Behandlung richtete sich nach der Art und Schwere der Probleme und danach, wie gut jemand auf eine Behandlungsmethode ansprach. Zahlreiche Kinder und Jugendliche mit ADHS nahmen an der Studie teil - allein in dem von Frau von Wirth koordinierten Teilprojekt für Schulkinder („ESCAschool“) waren es über 500. Die Ergebnisse der Studie, die eine der größten Therapiestudien weltweit zu ADHS ist, werden momentan ausgewertet und sollen unter anderem Antworten auf die Frage liefern, welche psychotherapeutischen Behandlungsformate für welche Kinder zu welchem Zeitpunkt besonders wirksam sind.

Das Forschungsthema ADHS brachte Frau von Wirth an die Uni Trier mit, als sie dort zum Sommersemester dieses Jahres ihre Tätigkeit als Professorin antrat. Die bei ihrer Forschung gewonnen Erkenntnisse kommen dem Aufbau der neuen ADHS-Schwerpunktambulanz zugute, der für das nächste Jahr geplant ist.

Partizipative Forschung
Die Psychotherapieambulanz für Kinder und Jugendliche der Universität Trier, an der rund 35 Psychotherapeut*innen in Ausbildung und mehrere approbierte Psychotherapeut*innen tätig sind, leistet einen wichtigen Beitrag zur Versorgung Betroffener. Zugleich besteht bei den Therapeut*innen und den Patient*innen eine hohe Bereitschaft, an Studien mitzuwirken. Hier möchten Frau von Wirth und ihr Team zukünftig verstärkt einen partizipativen Ansatz verfolgen, die Zielgruppe soll also schon bei der Planung einer Studie aktiv miteinbezogen werden. Doch wie kann es gelingen, betroffene Jugendliche und ihre Eltern zur Mitarbeit zu motivieren? Wie kann man Studienaufrufe und Infomaterialien so gestalten, dass die Zielgruppe sich angesprochen fühlt? Welche Fragestellungen sind für sie wichtig? Würden Betroffene die Wirksamkeit einer Behandlung über andere Variablen definieren als über die Reduktion von Symptomen, beispielsweise über die Verminderung von Konflikten im familiären oder schulischen Umfeld?

Diesen Fragen geht die neue Professorin an ihrem Lehrstuhl nach und plant, ein „Patient Review Board“ aufzubauen. Darüber sollen Patient*innen und Angehörige direkt an die Forschung herangeführt und in die Planung von Studien eingebunden werden, angestrebt wird dabei eine langfristige Bindung und Zusammenarbeit. Aktuell organisiert die Professorin regelmäßige Treffen für Eltern von Kindern mit ADHS und unterstützt diese beim Aufbau einer Selbsthilfegruppe. Die Eltern hätten bereits Unterstützungsbereitschaft für Studien signalisiert, da sie auf verschiedenen Ebenen Verbesserungen für ihre Kinder erwirken möchten, berichtet Frau von Wirth. Nun gilt es, darüber hinaus weitere betroffene Jugendliche und Erwachsene für die Zusammenarbeit zu gewinnen.

Im Kontext der partizipativen Forschung steht auch das aktuelle Projekt „VIP-concept“, das vom BMBF gefördert wird. Ziel des Projektes ist die Konzeption einer klinischen Studie zur Wirksamkeit von videobasierter Psychotherapie für Kinder und Jugendliche. Das Konzept wird gemeinsam mit Jugendlichen (11-18 Jahre) mit Therapieerfahrung und ihren Bezugspersonen entwickelt. Im ersten Schritt wurden die Jugendlichen und deren Eltern gebeten, an einer Umfrage teilzunehmen, die die Relevanz potenzieller Forschungsfragen aus Sicht der Betroffenen erfasst. Im zweiten Schritt wurden die Jugendlichen und Eltern gebeten, in Interviews ihre Wünsche und Sorgen bezüglich der geplanten Studie zu erläutern. Anschließend wurde eine Arbeitsgruppe (AG) gebildet, die aktuell in Fokusgruppen die Fragestellung und das Studiendesign, sowie ein Konzept für die kontinuierliche Einbindung von Patient*innen und Eltern während der klinischen Studie erarbeitet. Die AG besteht aus verschiedenen Personengruppen (Jugendliche, Eltern, Forscher*innen) mit gleichen Rechten und Entscheidungsgewalten. Die Zielgruppe ist in diesem Projekt also nicht nur beratend, sondern sogar mitbestimmend tätig, betont Frau von Wirth. Gemeinsam sollen Erkenntnisse gewonnen werden, die dann wiederum die Versorgung Betroffener verbessern können.

Dieses Zusammenspiel von klinischer Arbeit und Forschung gefällt Elena von Wirth an ihrer Tätigkeit besonders gut, wie sie im Interview erzählt. Außerdem erfülle sie der wichtige Beitrag, den die Ambulanz für die psychotherapeutische Versorgung der Region Trier leistet, mit Freude und Stolz. Sie hofft, dass die zukünftige Finanzierung der Weiterbildungsstellen in der Ambulanz nach dem neuen System bald gesichert ist, damit hier auch weiterhin Forschung und Versorgung erfolgreich Hand in Hand gehen können.

Die LPK RLP dankt Prof. Dr. Elena von Wirth herzlich für das interessante Gespräch, auf dessen Grundlage dieser Text entstand.

[Prof. Dr. Elena von Wirth]

17.06.2024
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