Entwicklungspsychologie: Wann ist man reif für politische Entscheidungen?
Bei der anstehenden Europa-Wahl dürfen erstmals junge Menschen ab 16 Jahren wählen. Wie ist dies aus entwicklungspsychologischer Sicht zu bewerten? Das fragte Spiegel Online im Interview Kammermitglied Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke. Die Entwicklungspsychologin und Psychologische Psychotherapeutin ist Mitglied in der Vertreterversammlung der LPK RLP, im Ausschuss für Aus- und Weiterbildung sowie Delegierte für den Deutschen Psychotherapeutentag.
Frau Seiffge-Krenke erläutert, das 16-jährige „sozial und kognitiv sehr reif“ seien. Außerdem seien sie in der Lage ihre Zukunft zu antizipieren. Dies seien wichtige Voraussetzungen für die politische Teilhabe. „Es ist gerecht, dass sie wählen dürfen“, resümiert die Psychotherapeutin. „Es geht um eine Politik, die die Jungen letztlich ausbaden müssen.“
Zudem hat unter anderem eine große von Frau Seiffge-Krenke geleitete Studie gezeigt, dass die Zukunftsängste von Jugendlichen auf der ganzen Welt eine immer stärkere Bezogenheit auf gesamtgesellschaftliche Bedrohungen aufweisen und ihr politisches Interesse gestiegen ist. [Über diese Studie haben wir HIER berichtet.]
Junge Menschen haben es heutzutage nicht leicht, gibt Frau Seiffge-Krenke zu bedenken: Sie wachsen mit vielen Krisen auf, sind geprägt von der Pandemie, den Sorgen um Kriege, das Klima und den Zustand der Demokratie und stehen häufig ebenso verunsicherten Eltern gegenüber. Die Häufung von schweren Belastungen könne zum Ausbruch körperlicher und psychischer Symptome führen, so die Psychotherapeutin im Interview. „Die immer schnellere Abfolge und hohe Dichte solcher Krisen ist ein großes Problem.“
In dieser krisenhaften Stimmung ließen sich manche Jugendliche auf Social Media von rechten Populisten gewinnen, doch dies sei schließlich auch bei anderen Altersgruppen der Fall und daher kein Argument, sie von der Wahl auszuschließen. Frau Seiffge-Krenke plädiert dafür, junge Menschen nicht zu lange zu behüten und ihnen Freiraum zur Entwicklung zu geben. Am Ende des Interviews betont sie noch mal den Wert politischer Teilhabe: „Ich glaube, eine möglichst frühe Einbindung der Jugendlichen hilft, sie aktiv an Grundprozessen der Demokratie und des Diskurses in pluralistischen Gesellschaften zu beteiligen.“
Das vollständige Interview „Kinder werden zu viel unterstützt – und zu lange“ von Kerstin Kullmann (veröffentlicht am 5. Juni 2024), können zahlende Kunden von Spiegel Online hier lesen.